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Tochter des Windes - Roman

Tochter des Windes - Roman

Titel: Tochter des Windes - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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berührte und ihm aus dem kosmischen Gehirn den Funken der Intelligenz übertrug. Es sei natürlich eine Auffassung, betonte die Führerin, die nicht alle Neurologen teilten und die Anlass zu Kontroversen gab. Ich trank ihre Worte wie die Verkündigung der Sybille, die über meinem Kopf auf ihrem Dreifuß thronte. Mir war egal, wo, warum und wie lange die Neurologen debattierten; wenn es stimmte und ein Maler fähig war, eine neurologische Erkenntnis in der Kunst darzustellen, ohne gleich auf dem Scheiterhaufen zu verbrennen, dann war dieser Maler ein Genie. Auf irgendeine verdrehte Art sah ich eine Verbindung zwischen Michelangelos Visionen und meinem Embryo der neuen Menschheit. Von diesem magischen Augenblick an geriet alles in mir in Gärung. Amalia brauchte sich keine Sorgen mehr um mich zu machen. Ich hatte endlich etwas gefunden, das mich packte!
    Daran dachte ich, während ich vor Tanjas leerem Kleiderschrank lamentierte und der Verdacht sich in mir aufdrängte, dass meine Frau mich  – das verkannte Genie  – einfach nicht zu schätzen gewusst hatte. Und nur ein Wimpernzucken später folgte die unmittelbare Frage: Wo ist der sofortige Trost? Sollte ich mir eine Studentin schnappen? Auf die Gefahr hin, dass ich sie, wie in einem amerikanischen Film, womöglich gleich schwängerte? Im Hörsaal war mir eine aufgefallen, die Jane hieß (ich Tarzan?) und überlange Beine hatte. Ihr kleiner Mund glich einer Knospe, der Madonnen von Fra Angelico ähnlich. Lachte sie, sah ich ihr hellrosa kindliches Zahnfleisch. Sie schaute mich an mit einer Wärme, die ich nicht für alltäglich hielt jemanden gegenüber, der hinter dem Rednerpult dozierte, sich dann und wann gewaltig räusperte und in langen Schlucken von dem Wasser trank, das dort stand.
Immerhin meldete sich mein Selbsterhaltungstrieb: Hatte Jane Beine wie eine Gazelle, wollte sie diese auch zur Geltung bringen. Und zwar in einer Mini-Jupe von Gucci, worauf ich vom Regen in die Traufe gekommen wäre. Abgesehen von dem Risiko einer ungewollten Schwangerschaft waren Studentinnen eine lebenslustige Sorte, anfällig für carpe diem , modische Bonbons, iPod und Technomusik.
    Und weil ich keinen Frust mehr wollte und auch keine Lust hatte, mitten in der Nacht eine Nabelschnur zu durchtrennen, legte ich die langbeinige Jane nicht in mein Bett, sondern ad acta. Es mochte für uns beide gesünder sein.
    Die Reise nach Prag also. Warum Prag? Weil ich Prag noch nicht kannte, wäre die naheliegende Antwort. Aber da war mehr. Die Sprache zunächst, völlig unverständlich, und trotzdem mit einer Wärme der Kehllaute, die mich an Italien erinnerte. Dann die Geschichte. Die katholische Gegenreformation im Böhmen des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts hatte die Stadt mit Prunkbauten versehen. Kaiser Rudolf der Zweite, ein Habsburger aus Madrid, hatte am Königshof mit Giordano Bruno über Fragen der Philosophie debattiert und den Dänen Tycho Brahe als Hofastronomen zu sich geholt. Brahe hatte ein revolutionäres Modell des Sonnensystems entworfen, sein Schüler Johannes Kepler hatte  – lange bevor das Teleskop erfunden wurde  – die elliptischen Bahnen um die Sonne berechnet. Der kleine Junge, der damals ein Modell des Sonnensystems gebastelt hatte, freute sich, auf den Spuren Gleichgesinnter zu wandeln. Solche, die Kopf und Kragen riskiert hatten, weil ihre Ideen sich nicht mit den Ammenmärchen ihrer Zeit vertrugen. Nur aufgeklärte Fürsten konnten sich damals leisten, dem Klerus über den Mund zu fahren, während Opportunisten dem Papst den Ring küssten und die Astronomen in den Kerker warfen. Was ich in Prag fand, war ein lebendiges Nacherleben der Dinge,
ein Bestehen vieler Zeitepochen. Gotik, Renaissance und Barock, aber auch Jugendstil, Kubismus und Funktionalismus. Es war schon so, dass sich in Prag etwas Falsches nicht hielt. Im chaotischen zwanzigsten Jahrhundert wurde hinter dem Eisernen Vorhang eine trostlose Baulandschaft errichtet, jedes Haus viereckig wie eine Kiste. Die samtene Revolution hatte das Hässliche, das am Beton haftete und an den Steinen hing, lächerlich gemacht, kreativ neu gestaltet oder verschmitzt zweckentfremdet. Dass der »Prager Frühling« die wunderlichsten Blüten trug, war einer Fantasie zu verdanken, widerspenstig und tiefgründig, die aus dem Mythos kam. Wer ein Gefühl dafür

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