Tochter des Windes - Roman
sagte ich. »Aber es trocknet schon.«
Ihre Hand fuhr an den Mund.
»Oh!«
Und weil die Lichter im Saal langsam ausgingen, fügte ich schnell hinzu: »Also, sehen wir uns nachher im Foyer?« Sie deutete eine Verbeugung an. »Doch, sehr gerne.« Sie wandte sich hastig ab, der Tür entgegen, stolperte über die Schwelle und prallte gegen eine Säule. Sie taumelte zurück, und dann war sie weg. Mir blieb gerade noch Zeit, in fliegender Eile meinen Platz zu erreichen, gerade als aus dem Orchestergraben die ersten Noten ertönten und der rote Vorhang sich hob.
Nachträglich wäre es falsch von mir zu behaupten, dass ich ganz bei der Sache gewesen sei. Gewiss genoss ich die Aufführung, wartete aber vergeblich darauf, dass Rusalkas rührende Klage erneut ihre Wirkung tat. Sie tat es nicht. Ich ertappte mich sogar dabei, dass ich in aller Diskretion einen Blick auf die Uhr warf. Die junge Asiatin gefiel mir, diese drollige Mischung aus Eleganz, Tollpatschigkeit und Selbstbewusstsein. War sie Chinesin, Koreanerin? Ich nahm an, dass sie Japanerin war, ihre Stimme hatte nicht das Helle, etwas Kindliche, das man oft bei Asiatinnen hört. Ihre Stimme hatte einen tieferen Klang mit einem leichten Vibrieren, wie ein ganz ferner, dunkler Glockenton. Sie schien auch Humor zu haben, der Humor war immer da, unterschwellig und unwiderstehlich. Selbst wenn sie sich entschuldigte, war das Lachen stets in ihren Augen, entsprach unsere Situation doch in etwa dem, was die Franzosen einst unter pantalonnade  â Hosenspiel  â
verstanden, wobei der Mann in der nächsten Sequenz in Unterhose und Sockenhalter zu erscheinen hatte. Zum Glück trug ich keine Sockenhalter, ja nicht einmal Socken zu meinen schwarzen Loafers, was die Italiener wiederum als molto elegante bezeichnen würden, ja, ja, auch in der Oper. In der ScheiÃhitze drauÃen waren Socken für mich einfach unerträglich. Während ich so sinnierte, verlor die Rusalka auf der Bühne ihre Stimme  â die Handlung verlangte, dass sie aus Liebesgram verstummte. Zuletzt entstieg der Magier mit seinem Grünzeug dem Wasser und zerrte das arme Wesen ins Reich der ewig stummen Fische. Ich aber hatte jetzt anderes im Kopf. Die Musik war nur noch narkotisch betäubend in ihrer Schönheit, die alle im Saal in Unbeweglichkeit hielt, derweil ich die Beute nervöser Ungeduld wurde, am Ende mit solcher Heftigkeit, dass ich kaum noch still sitzen konnte. Endlich verstummte die Musik; den Raum erfüllten stürmisches Beifallklatschen und Bravorufe. Ich schloss mich rückhaltlos dem Applaus an, mit der schnöden Ãberlegung, dass es jetzt endlich vorbei war. Gewiss tat ich DvoÅák und der Rusalka unrecht, aber jeder schleppt seine Neurosen mit sich herum, auch in die Oper, wenn es gerade so kommt. Immerhin schien es mir seit vierzig Minuten (ungefähr), dass es vielleicht möglich sei, meine Probleme zu vergessen oder vielmehr, dass ich eventuell mit einer Frau darüber reden konnte, die nicht Amalia hieÃ.
4. Kapitel
S ie hieà Mia. Mia Koga, wie auf ihrer zierlichen Visitenkarte stand, die sie mir mit einer charmanten Verbeugung im Foyer überreichte. Sie war  â wie ich vermutet hatte  â Japanerin. Meine Visitenkarte suchte ich vergeblich, in Brief- und Hosentasche. Ich hatte keine zur Hand, nannte meinen Namen und kam mir vor wie einer, der, wie Amalia es pedantisch formulieren würde, »von Zuhause aus keine gute Kinderstube hatte«.
Ich stellte mich vor, wobei ich gleich eine billige Entschuldigung für mein Fehlverhalten auf diplomatischem Parkett hinzufügte: »Wissen Sie, ich mache nur ein paar Tage Urlaubâ¦Â«
Ich hatte ihr Sinn für Humor zugeschrieben, und sie bestätigte dies, indem sie mit einem kleinen Lächeln erwiderte: »Ja, da reist man besser mit leichtem Gepäck.«
Ich räusperte mich und wechselte das Thema mit der Bemerkung, dass ich eine kleine, stimmungsvolle Lounge im Tyn-Hof ausgemacht hatte.
»Wollen wir dort noch etwas trinken?«
»Ja, gerne«, sagte Mia Koga.
Das Publikum strömte zu den Ausgängen. Im Gedränge gelangten wir nach drauÃen. Die Nacht war lauwarm und der Weg bis zum Tyn-Hof nicht weit. Wir gingen zu FuÃ. Eines der Missverständnisse zwischen den Geschlechtern besteht darin, dass die Modeindustrie die Frauen in dem Glauben
bestärkt, Männer fänden
Weitere Kostenlose Bücher