Tochter des Windes - Roman
darüber zu machen.«
»Im Grunde, ja«, erwiderte ich. »Dein Leben lang.«
»Tante Azai wurde hundertacht«, sagte sie. »Und ihr Hirn funktioniert noch. Vielleicht, mit etwas Glück â¦Â«
»Ich habe doch immer gespürt«, sagte ich, »dass ihr euch ähnlich seid!«
»Oh, oh, oh!«, kicherte Mia ein wenig verlegen. »Ich will aber nicht wie ein Krokodil werden!«
Ich streichelte zärtlich ihr Gesicht, ihre kleine Nase, ihre fein geschnittenen Züge.
»Ich will auch nicht über Krokodile schreiben, sondern über die Denkmaschine in deinem hübschen Kopf. Und über deinen Enthusiasmus, deine unbändige Lebenslust.«
»Und wovon wirst du sonst noch schreiben in deinem Buch?«
»Von Isao. Von Onkel Matsuo und Hatsue. Von Tante Azai und von Yodo-dono, die mich warnte und nicht dich, worauf ich Kopfschmerzen bekam und überhaupt nichts mehr verstand. Und zwangsläufig wird es ein Buch über die Windmenschen werden.«
»Und worüber noch?«
»Ãber Jan Letzel natürlich. Ãber Oda Nobunaga und Mataemon Okabe. Und vielleicht auch über Michelangelo, Raphael und Leonardo da Vinci. Die gehören alle dazu.«
»Das ist mir schon klar«, sagte Mia. »Aber wirst du auch ein wenig über die Liebe schreiben?«
»Wie kann ich über etwas anderes schreiben?«
»Wenn du darüber schreiben willst«, sagte Mia, »hast du keine Zeit zu verlieren. Mach schnell, bevor die Welt untergeht.«
Ich betrachtete ihren halb nackten Körper, mit der unwahrscheinlich zarten Haut, schimmernd wie rosa Seide. Ich lieà meine Hand über diese geschmeidige Glätte wandern und dachte: Diese Frau ist so köstlich, sie kann sich nicht verändern oder altern. Nein, sie wird nie wie Tante Azai werden! Sie wird auch nie sterben, sie ist so vollkommen. Sie wird ewig weiterleben.
Mia zog leicht die Nase kraus.
»Was gibt es an mir? Was siehst du denn?«
Ich wagte nicht, Mia von ihrer Unsterblichkeit zu sprechen, sondern fragte mit einem Seufzer: »Wann wird die Welt untergehen?«
Sie nahm meine Hand, bettete ihre Wange hinein.
»Vielleicht schon in fünf Minuten. Das, was wir erlebt haben, war ja nur die Generalprobe.«
Und später in dieser Nacht, so gegen vier Uhr, träumte ich von Yodo-dono, die vor meinen Augen mühelos aus dem Brunnenloch stieg. Sie trat in das Zimmer, in ihrem weiÃen
Gewand, und ich begrüÃte sie respektvoll, wie es sich gehörte.
»Guten Abend, Dame Azai!«
Ich hatte Deutsch gesprochen, wohl wissend, dass in ihrer Welt alles in einer geschlossenen Schöpfung vereint war und sie jede Sprache verstand. Sie kam lautlos näher, blickte auf Mia und mich, die auf dem Futon lagen, hinab. Da sah ich, dass sie zwei kleine, schwarze Kätzchen im Arm trug. Sie hob beide Tiere an ihr Gesicht, streichelte sie mit ihren Wangen. Ihr Ausdruck dabei war recht freundlich, nicht im Geringsten verkniffen. Sie kündete keine Katastrophe an  â diesmal nicht. Sie wollte mir etwas mitteilen. Oder war es ein Befehl? Bei ihr war das nicht so leicht ersichtlich. Jedenfalls verstand ich genau, was sie meinte, und sagte es ihr auch.
»Vielen Dank, Dame Azai! Ja, das ist eine gute Idee!«
Sie hielt die Kätzchen an ihr Gesicht. Ich sah das Aufblitzen ihrer schwarzen Zähne durch den leichten Katzenflaum, das Leuchten ihrer roten Lippen. Sie gab uns sozusagen ihren Astralsegen.
Und da erwachte ich, und der Tag brach an, die Sonne schimmerte rötlich hinter den Fensterläden. Im nahen Schreingarten riefen sich die Raben ihre Botschaften zu, wie sie es jeden Morgen taten. Ihre vertrauten Stimmen waren ohne Angst. Sie schrien keine Warnung in den Wind. Noch ganz unter dem Eindruck meines Traumes setzte ich mich hoch, berührte Mias Schulter. Sie rekelte sich wohlig unter der warmen Daunendecke, schlug die Augen auf.
»Wie spät ist es?«
»Mia, hör zu«, sagte ich, halb aufgeregt, halb lachend. »Yodo-dono war wieder hier!«
Mia stützte sich auf ihren Ellbogen. Eine Spur von Erschrecken huschte über ihren Mund.
»Hat sie dich wieder gewarnt?«
Ich streichelte ihre warme Brust, die zierlich war wie die eines ganz jungen Mädchens. Eine kaum angedeutete, zarte Rundung.
»Nein, sie hat mir nur mitgeteilt, wer uns beim nächsten Mal warnen wird.«
Sie warf ihr wirres Haar aus der Stirn.
»Ja, wer
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