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Tochter des Windes - Roman

Tochter des Windes - Roman

Titel: Tochter des Windes - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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Dinge nur, weil sie ungeliebt waren. Ich war wie eine Figur auf einem Schachspiel, meiner Umwelt entnommen und versetzt. Und wer hatte mich versetzt? Meine unselige Tanja. Ich war Tanja zum Opfer gefallen, ach ja, ach ja! Besaß ich zu wenig Anziehungskraft? Stand mein Bankkonto in den roten Zahlen? Rochen meine Socken schlecht? Es heißt, verlieren zu können ist die Summe aller Weisheit. Ich aber fand es unerträglich, morgens alleine zu erwachen und mich zu rasieren, mich durch den Tag zu quälen, dabei matt und pausenlos nur mit mir selbst beschäftigt zu sein. Die Gabe, aus dem Vorhandenen zu schöpfen und zufrieden zu sein, offen für neue Eindrucke, verlangte mehr
als Passivität. Meine Gefühle waren verletzt, somit war mein schlimmster Feind der Miesepeter. Besichtigte ich Kirchen, Museen und Paläste  – wozu ich mich beflissen bemühte  –, spazierte mein innerer Nörgler mit; es war aussichtslos, den Anschein aufkommen zu lassen, dass mich das alles ansprach. Null Impetus, es den Touristen gleichzutun, dafür ein gewaltiger Impetus zur Menschenverachtung. Herrgott, das Leben sollte doch Freundschaft sein, Gespräch, Wärme und Nähe. Ich aber stand immer noch da wie hinter dem Rednerpult, beleidigt und auf Distanz mit allem, sodass am Ende auch das Besondere zum Herkömmlichen wurde, das Schöne zwar vor meinen Augen existierte, aber mein Herz kalt ließ.
    Nach drei Tagen hatte ich mich noch immer nicht erholt; ich stapfte von einer Sehenswürdigkeit zur anderen, speiste schmackhaft und figurungünstig (zu viel Kartoffeln, zu viel Speck, zu viel Soße, zu viel Sahne), ruhte meine geschwollenen Füße in Cafés aus, wo ich zur üblichen Zeit für Kaffee und Kuchen sorgte, und am Abend war ich nur noch müde und wollte ins Bett. Kurzum, ein Dozent in schlechtester Form.

3. Kapitel
    D ie Traviata, Aida und Madame Butterfly waren mir sattsam vertraut. Auf dem Spielplan der Prager Oper stand eine mir noch unbekannte »Rusalka« von Antonin Dvořák, meinem tschechischen Lieblingskomponisten. Bedrich Smetana genoss ich vorzugsweise bei sentimentalen Wallungen, was im Moment nicht der Fall war.
    Die Aufführung sei leider ausverkauft, meinte der Concierge, der mir, gegen ein reichlich überzogenes Trinkgeld, noch eine Karte für den gleichen Abend besorgte.
    In Vorfreude auf die »Rusalka« hatte ich am Nachmittag das Dvořák-Museum besucht und einmal mehr erstaunt festgestellt, wie banal doch Menschen gelebt hatten, deren Musik wir bewunderten. Werke großer Künstler haben eine gewaltige Täuschungskraft: Wir stellen uns Titanen vor und finden Kleinbürger in kleinen Wohnungen, mit kleinen Möbeln, kleinen runden Brillen, kleiner, unleserlicher Handschrift. Man gewinnt dabei das Gefühl, dass sie in zwei Welten gelebt hatten, in verschiedenen Wirklichkeitsstufen: die großartige Welt des Geistes und die beschränkte Welt der Kleinbürger, die fast immer zu viele Kinder hatten, zu wenig Geld und schlechte Zähne. Manchmal war es besser, die Menschen hinter ihren Werken verschwinden zu lassen, sich der Illusion hinzugeben, dass sie Könige waren, verschwenderisch mit Gaben ausgestattet, Träger von großen und erhabenen Visionen. Dass sie uns solches glauben machen, ist eben ihre Magie.

    Die Rusalka also. Das volkstümliche Motiv der Undine, recht konservativ auf die Bühne gebracht. Nichts gegen Märchen, auch nicht, wenn sie bieder inszeniert sind. Ich war von deutschen Bühnen anderes gewohnt, hatte Lulu splitternackt, die Tosca im Unterrock und Carmen mit einem T-Shirt, auf dem Fuck you zu lesen war, gesehen. Auch Opern müssen sich der Zeit anpassen. In Prag herrschte noch eine Art proletarische Ehrfurcht vor der Kultur. Man rüttelte nur zaghaft am musikalischen Erbe. Und so tanzte die Rusalka in wehenden Schleiern über Seerosen, die herrschaftliche Jagd sprengte per Video herbei, und der Wassergeist zog ein grünes Gestrüpp hinter sich her. In einer modernen Inszenierung hätte man ihn  – ich nehme es an  – in einen Taucheranzug gesteckt. Mit Schwimmflossen obendrein. Immerhin war das Orchester hervorragend, und die dickliche Rusalka hatte eine wundervolle Stimme. Ihre »Ode an den Mond«, als ob musikalische Kristallfäden sich aus ihrem sinnlichen Mund lösten, verschaffte mir eine Erektion, was die »Adult Movies« im

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