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Tod am Chiemsee (German Edition)

Tod am Chiemsee (German Edition)

Titel: Tod am Chiemsee (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ina May
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auf, und mein limbisches System erinnerte mich an
meine Kindheitsnöte. Automatisch atmete ich flacher und versuchte, mich
abzulenken. Ich kam am Zimmer meiner Eltern vorbei und warf einen Blick hinein.
Keiner drin. Mein Blumenstrauß prunkte auf der Kommode. In eine Vase gerettet
und nur ein bisschen ramponiert. Schön! Tür zu und weiter. Ich ließ den Aufzug,
der meine Geduld regelmäßig arg auf die Probe stellte, links liegen und nahm
die Treppe.
    Im Restaurant saßen noch die Geburtstagsgäste um meinen Vater am
Tisch. Nur die Offiziellen, der dritte Bürgermeister, die Gratulantin der
Caritas und die Vertreterin des VdK, waren nicht mehr da. Auch gut, dann waren
wir unter uns. Soweit man das hier sein konnte. Denn der ungewöhnliche
Todesfall schien alle durstig gemacht zu haben. Fast jeder Platz war besetzt
und die Heimbewohner diskutierten über die Sensation. Ich schaute mich um und
entdeckte einige, die ebenfalls auf Station zwölf wohnten. Sie waren
Informanten der ersten Stunde und daher als Gesprächspartner natürlich
besonders gefragt, genossen ihre Vorrangstellung. Manch schlaffe Wange hatte
sich leuchtend rot gerundet.
    Ganz hinten im Eck hockte allein der Hinterdobler in seinem
Rollstuhl und schien aus dem Fenster zu blicken. Seit seinem Schlaganfall
wusste man nicht so genau, wie viel er von seiner Umwelt mitbekam. Wegen seiner
unrühmlichen Vergangenheit war unser ehemaliger Landrat unter seinen
Mitbewohnern nicht gerade beliebt. Einem mutmaßlichen Mörder mochte man beim
Mittagessen nicht unbedingt gegenübersitzen. Deshalb kümmerte sich keiner um
ihn. Tief gefallen, der Herr Hinterdobler.
    Ich wandte mich ab und setzte mich endlich zu meiner Familie. Sie
hatten die Nachspeise schon beendet und waren bei Espresso und Schnaps
angelangt. Das konnte ich jetzt gleichfalls vertragen und gab der Bedienung ein
entsprechendes Zeichen. Lilli, meine Älteste, beugte sich zu mir herüber und
fragte mich flüsternd, ob es etwas Neues gäbe. Ich schüttelte den Kopf.
    Mein Vater erzählte gerade eine »Geschichte von früher«. Davon hat
er einen erstaunlichen Vorrat und große Freude daran, ihn mit anderen zu
teilen. »1942 wurde ich doch noch eingezogen. Da war ich Anfang zwanzig. Zu den
Fliegern. Ich! Mit meiner Flugangst! Wir hausten in Baracken, zehn Mann in
einem Raum, Feldbetten, provisorische Spinde, ein einziges Waschbecken, Toilette
vor der Tür, sonst nichts. Am nächsten Morgen sollten wir zum ersten Mal
fliegen. Ich hatte unglaubliche Angst und die Nacht nicht geschlafen. Als
Appell war und wir auf dem Vorplatz antreten mussten, bin ich in die Baracke
zurück, so als ob ich was vergessen hätte, und hab mich unter dem Feldbett ganz
hinten in der Ecke versteckt. Dort hab ich gewartet, bis alle anderen in der
Luft waren.«
    Diese Story gefiel Linus besonders gut. Obwohl ich mich bemüht
hatte, ihn pazifistisch zu erziehen – oder vielleicht auch gerade deswegen –,
übten Geschichten über Soldaten, Kämpfe und Krieg auf ihn mit seinen fünfzehn
Jahren eine geradezu magische Faszination aus. Ich wusste nicht, ob ich mir
Sorgen machen sollte. Diese Begebenheit hatte er schon einige Male gehört und
war deshalb ein prima Stichwortgeber.
    »Bist du dann vors Kriegsgericht gestellt worden, Opa?«
    »Die Deutschen hätten das gemacht, aber nicht die Ungarn, Linus. Die
haben eingesehen, dass ich für die Luftwaffe nicht taugte.« Zur Bekräftigung
dieser vernünftigen Vorgehensweise kippte er den Rest seines
Verdauungsschnapses mit einer gekonnten Bewegung hinunter. Er beugte sich zu
seiner Frau hinüber: » Muzikám , hast du vor, noch
länger zu bleiben?«
    »Ich wart ja nur auf dich.«
    »Dann werde ich mich jetzt zurückziehen, ich bin müde. Vielen Dank
für euer Kommen.«
    »Und die zahlreichen Geschenke!«, fügte meine Mutter hinzu, schon im
Aufstehen begriffen. Wenn mein Vater etwas wollte, musste es sofort geschehen.
Auch ich sprang auf, um ihm beim Hochkommen zu helfen. Ein bisschen wackelig
hielt er sich am Tisch fest, ich gab ihm seinen Stock. Mit Willenskraft
richtete er sich auf und ging, auf meine Mutter gestützt, die Gäste
verabschiedend, aus dem Lokal.
    Vierzehn Uhr dreizehn
    Die Kommissarin war mit ihrem Kollegen inzwischen in das Zimmer
der Heimleitung im Erdgeschoss umgezogen. Auf der Station brachte ihre
Anwesenheit zu viel Unruhe. Frau Imhoff, die Leiterin, trat ihren Raum
allerdings nur sehr widerwillig ab. Sie hasste es, wenn jemand in ihr
Territorium eindrang.
    Im Moment

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