Tod am Chiemsee (German Edition)
zusätzliche
Stühle, und so weiter. Zur gleichen Zeit vermisste eine Bewohnerin etwas und
machte ein ziemliches Drama daraus. Die mussten wir beschwichtigen. Wir wollten
ja nicht, dass die Zeitung davon Wind bekommt und einen Diebstahl vermutet.«
Sie lachte. Von den Polizisten kam keine Reaktion.
»Ja.« Frau Schönhuber hüstelte. »Dann hatte ein Bewohner
Magen-Darm-Grippe und dementsprechende Schwierigkeiten. Sie verstehen? Da
mussten Herr Hecker und ich ihn nochmals waschen und umziehen.«
»Zu zweit?«
»Ja, er ist bettlägerig und zu zweit geht es mit dem Heben und
Wenden schneller. Vor allem, weil ihm wieder schlecht geworden ist, als wir
schon fast fertig waren. So ist das manchmal.«
Die Kommissarin nickte. »Wissen Sie, warum Frau Böhm in der
Abstellkammer war?«
»Keine Ahnung. Sie wird etwas geholt haben.«
Das Handy der Kommissarin vibrierte. »Einen Augenblick bitte.« Sie
berührte das Display und las. »Wissen Sie, dass Frau Böhm Diabetes hatte?«
Die Schwester schüttelte den Kopf.
»Allergien?«
»Wenn ich so darüber nachdenke: Im Frühjahr benutzte sie ihr Spray
häufiger. Sie erwähnte auch mal, dass sie gegen Pollen allergisch sei. Ach ja,
und Wespenstiche. Bei Wespen flippte sie aus.«
»Ist Ihnen sonst noch etwas aufgefallen? Waren Fremde auf der
Station?«
»Massenhaft. Die Gäste vom Markovics.«
»Ja, die Liste haben wir schon. Sonst noch wer?«
»Nein, mir ist niemand aufgefallen.«
»Gut, das wäre einstweilen alles.« Kommissarin Langenscheidt entließ
sie, und die Schwester eilte aus dem Raum.
Fünfzehn Uhr vierzig
Zimmernummer 1203, das Wohnzimmer der von Markovics’. Es klopfte
an der Tür. Keine Antwort. Heidemarie Wieland öffnete dennoch und blickte
vorsichtig hinein. Sie blinzelte gegen die Helligkeit an, die die
Nachmittagssonne durch die Fenster in das geräumige Zimmer schickte. Die Möbel
aus den späten fünfziger Jahren hätten jeden Liebhaber dieser Zeit zu
Begeisterungsstürmen hingerissen. Vor dem Fernsehgerät standen zwei
honigfarbene Cocktailsessel. Auf dem obligaten Nierentisch dazwischen lagen
Fernsehzeitung und Fernbedienung. Eine Kombination aus Wohnzimmerschrank und
Bücherregal fiel durch die luftig-leichte Konstruktion auf. Ihre filigranen
Füße schienen die Ansammlung von Fotoalben, Blumenvasen, Zsolnay-Figürchen und
Bertelsmann-Club-Büchern mühelos zu tragen. Selbst die Stores passten perfekt
in dieses Bild. Ihre grafischen Muster harmonierten mit der Farbe der Sessel.
Eine heile Welt aus dem Jahre 1958.
Vor dem Fenster saß Magdalena von Markovics in aufrechter Haltung an
ihrem Esstisch. Die Einrichtung bildete den perfekten Rahmen für ihre zarte
Gestalt. Ebenso feingliedrig wie ihr Mobiliar, besaß sie den anrührenden Charme
vergangener Zeiten. Ihr graues Haar umrahmte in ordentlichen Wellen ihren Kopf.
Eine Perlenkette schimmerte um ihren schmalen Hals und unterstrich die Eleganz
ihres dunkelblauen Kostüms, dem man sein Alter zwar ansah, aber gerne vergab.
Die achtzig Jahre ihres Lebens mochten nicht immer leicht gewesen sein für
Magdalena, dennoch umspielte meist ein feines Lächeln ihre Lippen. Sie schaute
auf ein Heft mit Kreuzworträtseln, den Stift schreibbereit in der Hand. Sie
hatte die Besucherin noch nicht wahrgenommen. Obwohl Heidemarie schon in der
Tür stand, klopfte sie nochmals dagegen. Deutlich lauter. Jetzt blickte
Magdalena auf.
»Darf ich?«, fragte ihre Bekannte.
»Oh, Heidemarie. Natürlich. Komm nur rein.« Magdalena legte den
Kugelschreiber und ihre Lesebrille beiseite, erhob sich und ging ihrer
Besucherin entgegen.
Heidemarie schloss die Tür und schüttelte Magdalena herzlich die
Hand. Auch sie schien einem Bilderbuch über gepflegte alte Damen entsprungen zu
sein. Sie war vielleicht zehn Jahre jünger als Magdalena und konnte sich noch
nicht dazu entschließen, sich zum Grau ihrer Haare zu bekennen. Deshalb
schmiegten sich weiche blonde Löckchen um ihr Gesicht, das nahezu faltenlos und
dezent geschminkt war. Heidemarie Wieland war in früheren Zeiten eine schöne
Frau gewesen, und das stete Wissen darum hatte sich in ihre Züge eingeprägt.
Ihre blauen Augen leuchteten vor Selbstbewusstsein.
»Ich möchte nicht stören. Aber ich wollte Tibor zu seinem Ehrentag
gratulieren und ihm eine kleine Aufmerksamkeit vorbeibringen.« Sie hielt eine
in weißes Seidenpapier gewickelte Flasche in die Höhe. »Ungarischer Rotwein.
Den trinkt er doch so gerne.«
»Es ist ganz reizend von dir, dass du an seinen
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