Tod am Chiemsee (German Edition)
Geburtstag denkst.
Das wäre wirklich nicht nötig gewesen.« Die üblichen Floskeln kamen Magdalena
ohne großes Nachdenken über die Lippen.
Heidemarie drückte ihr die Flasche in die Hand. »Nun, man wird nur
einmal neunzig Jahre alt. Schon eine beachtliche Leistung.« Sie zupfte an dem
Seidentuch an ihrem Hals, das ganz selbstverständlich ihre adrette Erscheinung
komplettierte und die Farben ihres weit schwingenden Rockes wieder aufnahm. »Wo
ist er denn? Hält er seinen Mittagsschlaf?«
Magdalena gab beflissen Auskunft. »Ja, er hat sich hingelegt. Es war
heute viel Trubel. Die zahlreichen Gäste, das gute Essen.« Es hörte sich fast
entschuldigend an.
»Und dann noch der Todesfall.« Heidemarie hatte ihre Stimme etwas
gesenkt und trat einen Schritt näher an Magdalena heran. »Gerade an seinem
Geburtstag.«
»Ach, ja, natürlich.« Magdalena versuchte sich den Anschein zu
geben, als wüsste sie, wovon ihre Bekannte sprach.
»Du erinnerst dich? Elvira.« Nachdem der Groschen immer noch nicht
gefallen zu sein schien, führte Heidemarie weiter aus: »Elvira wurde doch von
Karin tot in der Abstellkammer gefunden.«
»Oh. Ja. Die Arme.« Wen sie damit meinte, war nicht klar. Magdalena
fingerte unsicher an der goldenen Brosche herum, die am Revers ihrer Kostümjacke
steckte, und machte ein betroffenes Gesicht.
Heidemarie konnte sich wieder einmal davon überzeugen, dass
Magdalenas Gedächtnis nur mehr sehr unzureichend funktionierte. So wechselten
sie noch einige belanglose Sätze. Nach ein paar Minuten verabschiedete sie
sich.
»Ich schaue die Tage wieder vorbei. Vielleicht habe ich dann mehr
Glück und Tibor ist wach. Wir sehen uns, meine Liebe.«
»Ja. Danke für deinen Besuch. Komm gut nach Hause.« Erleichtert
widmete sich Magdalena wieder ihren Rätseln.
Zweiundzwanzig Uhr
Erst abends im Bett kam ich dazu, mit Martin über den heutigen
Vorfall zu reden. Der Tag war noch mit Dingen angefüllt gewesen, die alle
zuerst erledigt werden wollten. Keine freie Minute, um mitein-ander zu
sprechen.
Nachdem meine Eltern sich zurückgezogen hatten, waren wir eine Weile
am Tisch sitzen geblieben. Viele Komplimente zum bemerkenswerten geistigen
Zustand meines Vaters hatte ich entgegennehmen können. Ich war über seine
körperlichen Leiden befragt worden. Dann hatte ich noch über unser
Familienleben Auskunft geben müssen, und wir plauschten ein wenig über
Schulprobleme und Alltagssorgen. Alle Gäste waren Bekannte und Verwandte »der
zweiten Linie«. Da mein Vater nun schon neunzig war, hatte er keine
gleichaltrigen Angehörigen mehr. Seine letzte Schwester war vor zwei Jahren
gestorben. Ein einziger Freund aus Jugendtagen war ihm geblieben. Leider war er
zu alt, um die weite Reise von München nach Kirchmünster auf sich zu nehmen. Er
hatte nur angerufen und gratuliert. Und so waren die Kinder der Freunde meines
Vaters gekommen, seine Nichten und Neffen. Musste schon seltsam für ihn sein.
Der letzte Überlebende.
Als wir endlich zu Hause waren, mussten erst so Alltäglichkeiten
abgearbeitet werden wie Vokabeln abfragen, mit dem Hund spazieren gehen oder
Kind in die Dusche nötigen. Vicky hatte mit ihren zehn Jahren zwar ihre
kleinkindhafte Wasserallergie überwunden, den letzten Anstoß brauchte sie
allerdings doch immer noch von außen.
Die Kinder brachten seltsamerweise nicht die Rede auf den Todesfall
im Altenheim. Vielleicht mussten sie die Info überhaupt erst mal an sich
ranlassen, bevor sie weitere Fragen hatten. Und ich wollte nichts forcieren.
Deshalb saß ich also schon im Bett, als ich endlich mit Martin reden
konnte. Er kam nur in Pyjamahose bekleidet aus dem Bad. Eine seiner netten
Angewohnheiten, kein Oberteil anzuziehen. Da kann ich mich – by the way – an seinem immer noch sehr ansehnlichen
Oberkörper erfreuen. Aber heute hatte ich keinen Sinn für Sinnlichkeit.
»Ich glaube ja nicht, dass sie zufällig gestorben ist. Du
vielleicht?«
Martin setzte sich aufs Bett und schüttelte den Kopf. »Das kann man
noch nicht sagen. Solange die Todesursache nicht festgestellt wurde, kann es
alles sein. Eventuell war sie gegen etwas hyperallergisch, und da wäre es schon
möglich, dass sie einen allergischen Schock bekommen hat und erstickt ist. Das
ist jedoch pure Spekulation.« Damit legte er sich zurecht.
Seine vernünftigen Worte konnten mich nicht einlullen. »Also ich
glaube ja, dass sie ermordet wurde.« Ich runzelte die Stirn und cremte mir
schwungvoll die Hände ein. »Aber kannst du
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