Tod & Trüffel
Männlichkeit geleckt.
Sie hatten sich unterworfen.
Als Grarr nun mit der Fellpflege fertig war, blickte er nach oben, als würde er im Tageslicht duschen. Sein Fell schimmerte, wie von innen leuchtend. Das Licht fiel so auf seine Augen, dass sie wie blutrote Rubine erstrahlten.
»Und?«, fragte Grarr. »Du hattest es also eilig, zu mir zu kommen?«
»Ich weiß, dass die Kralle bereits bei dir war. Doch ... «
Grarr unterbrach ihn. »Du musst mir nicht sagen, wer zu mir gekommen ist, Bruder. Weißt du mir etwas Neues zu berichten?«
»Sylvio starb anders als die unserigen. Er starb von innen heraus.«
»Es kann trotzdem kein Zufall sein, dass es vier Tote an einem Tag gibt. Die Dinge hängen zusammen. Wie ist die Lage in dem Menschennest?«
»Es ist leer, keine Zweibeiner zu riechen.«
»Du meinst keine lebenden?« Grarr rollte sich auf den Rücken und ließ das Tageslicht seinen Bauch erwärmen.
»Sowohl als auch. Es sind nur zwei Hunde da, schwächliche Tiere. Das ist alles. Und einige Katzen, aber die sind überall. Wie Ungeziefer.«
Grarr stand wieder auf und blickte, den Kopf wie zum Angriff gesenkt, hinüber zu seinem Bruder im Knochenmeer. »Der Gott des Berges ist blind. Wir aber nicht. Drei von uns sind getötet worden. Dabei hatten sie keine Schuld auf sich geladen. Diese Ungerechtigkeit muss gesühnt werden. Die Kralle ist unterwegs, um den Blutzoll Rimellas einzufordern. Egal von wem.«
»Ich werde es überwachen, Bruder.«
Grarr schüttelte sein Haupt und schritt in einen Unterschlupf im Fels, der von Aurelius’ Platz nicht einzusehen war. Er hörte die Stimme seines Bruders nur als hohles Echo zu ihm dringen.
»Du wirst nicht gebraucht. Ruh dich für heute aus.« AlsAurelius schon am Ausgang war, fügte Grarr noch etwas hinzu. »Schick Laetitia morgen früh zu mir. Sie darf wiederkommen. Ihr Schlafplatz ist doch nah an deinem, oder?«
Der Berg war für Niccolò immer ein fester Teil seiner Welt gewesen, wie der Himmel mit seinen Sternen, wie der schlichte alte Brunnen in der Mitte von Rimellas Piazza. Sie alle waren einfach da, von ihnen ging keine Gefahr aus, Konstanten in einer sich ständig wandelnden Welt. Die Sonne stand steil am Himmel und ließ die im Bergmassiv eingeschlossenen Gesteinsschichten blitzen wie rasiermesserscharfe Klingen.
Und sie kamen näher.
Weg, nur fort, jetzt! Cinecitta und Niccolò rannten davon.
Doch plötzlich verfing sich einer von Cinecittas Läufen in einem Erdloch, zwischen einem Stein und einer kräftigen Wurzel.
Der Bergrücken brach vollends. Rutschte so sanft ab wie die Eiskugel auf dem Waffelhörnchen eines gierigen Kindes.
Und Cinecitta kam nicht weg.
»Ich helfe dir!«, bellte Niccolò. »Ich hol dich da raus!« Und er drückte mit seiner Schnauze so sehr, wie es sein kleiner Körper zustande brachte. Es half nichts. Er schaufelte mit seinen schmalen Pfoten den Boden um das eingeklemmte Bein weg.
Doch der Himmel rückte viel zu schnell näher. Er war dunkel und schwer.
Cinecittas Bein kam nicht frei, zu sehr hatte sie sich durch das ständige Herausreißen verhakt, zu groß war der unnachgiebige Stein.
Niccolò sah nur noch eine Möglichkeit, und er war so verzweifelt, sie zu ergreifen. Er biss zu, biss in ihr Bein, bis das Blut quoll, wollte es durchtrennen, wollte Cinecitta mitden Zähnen von den Wurzeln lösen. Die Hündin jaulte auf, trat aus, versuchte noch verzweifelter wegzukommen.
Dann bemerkte Niccolò den Wind. Den Sturm, den der abgleitende Berg vor sich hertrieb, der durch sein Fell fuhr auf der Flucht vor der erdrückenden Masse.
Niccolòs Körper folgte dem Wind ohne Niccolòs Kopf, ohne sein Herz anzuhören. Er setzte sich in Bewegung mit der fliehenden Luft, er rannte schneller als je zuvor, immer geradeaus, immer schneller, immer weiter.
Hinter ihm änderte sich die Landschaft.
Der Berg wurde immer niedriger.
So schnell wie es begonnen hatte, hörte es wieder auf. Die Erde wurde langsamer, das Grummeln nahm ab, doch Steine schossen immer noch wie wild an Niccolò vorbei, tanzten und sprangen hinab nach Rimella, als seien sie froh, endlich befreit worden zu sein aus ihrem jahrtausendealten Gefängnis.
Dann wurde es völlig still. So still hatte Niccolò die Welt noch nie vernommen.
Er blickte sich um. Zersprungener Fels, umgeknickte Bäume, aufgewühlte Erde. Wo Cinecitta lag, war nicht einmal zu erahnen. Verschwunden unter meterhohem Schutt.
Niccolòs Welt brach zusammen wie der Berg eben vor ihm. Der Tod
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