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Tod an der Ruhr

Tod an der Ruhr

Titel: Tod an der Ruhr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Kersken
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die Entstehung des Ansteckungsstoffes und seine Verbreitung wussten sie kaum mehr als das ungebildete Volk in den Gassen der Stadt.
    Was das Choleragift in den Menschen anrichtete, das glaubten die Doktores zumindest zu verstehen: Nach der Lehre von den vier Körpersäften war jede Erkrankung eine Störung des natürlichen Gleichgewichtes von Blut, Schleim, schwarzer und gelber Galle. Die heftigen Durchfälle der Cholerakranken hielten die Ärzte für die Folge einer Überfüllung der Gedärme mit Blut.
    Der Aderlass schien eine Erfolg versprechende Gegenmaßnahme zu sein, aber die Heilungserfolge waren überaus gering. Jacob Möllenbeck hatte sogar damals hin und wieder den Eindruck gehabt, als schwäche der Aderlass die Erkrankten, als würden sie nach dem Verlust ihres Blutes noch schneller dahinsiechen.
    Mehr als zwölfhundert Menschen waren bei der Epidemie von 1849 allein in Köln gestorben, etwa die Hälfte aller Erkrankten.
    Inzwischen war der Aderlass aus der Mode gekommen. Von einer Überfüllung des Körpers mit Blut ging heute niemand mehr aus. Jetzt glaubten die Ärzte eher an eine Eindickung des Blutes, und das erschien auch Möllenbeck einigermaßen plausibel.
    Schon oft hatte er sich angesichts der nicht enden wollenden heftigen Durchfälle der Kranken gefragt, wo diese große Flüssigkeitsmenge wohl ihren Ursprung habe. Dass die Menschen sie vor der Erkrankung mit der Nahrung aufgenommen hatten, war unwahrscheinlich.
    Dem Heildiener schien es eher so, als verlören die Kranken mit ihren wässrigen Stühlen jede Menge von der Flüssigkeit, die ein menschlicher Körper natürlicherweise in sich hatte. Wenn er in das eingefallene, hohläugige Antlitz eines Cholerakranken blickte, war es ihm manchmal so vorgekommen, als seien diese Menschen geradezu ausgetrocknet.
    Die Annahme einer Blutverdickung durch den Verlust natürlicher Körperflüssigkeiten leuchtete ihm deshalb ein, und auch der Vorschlag der Ärzte, kleine Schlucke kalten Wassers zu verabreichen, schien ihm sinnvoll. Aber gerade da lag das Problem. Im zweiten Stadium der Erkrankung, wenn heftiges Erbrechen zu den Durchfällen kam, führte jeder kleine Trunk zu einem erneuten Brechanfall.
    Was aber nützte die Zuführung von Flüssigkeit, wenn der Kranke sie nicht bei sich behalten konnte?
    Manche Ärzte hatten versucht, mit Opium die Durchfälle zu stoppen, aber auch die Erfolge dieser Behandlungsmethode waren äußerst dürftig. Immerhin hatte man seit 1849 einiges über die Ausbreitung des Ansteckungsstoffes dazugelernt. Wo viele Menschen dicht gedrängt zusammenlebten, wo saubere Wohnverhältnisse aufgrund von Enge und Armut nicht herzustellen waren, da tobte die Cholera am heftigsten. Und dort befiel sie dann gerade die Menschen, die durch zu geringes oder schlechtes Essen ohnehin schon entkräftet waren.
    Auf dem Lande hatte die Cholera während der beiden großen Epidemien wenig angerichtet, während sie in den Städten gewütet hatte. Die armen Bevölkerungsschichten waren ihr in Massen zum Opfer gefallen, während die wohlhabenden Bürger seltener erkrankten. Und wenn das Choleragift einmal einen Reichen erwischte, dann war seine Überlebenschance um ein Vielfaches größer als die eines Armen.
    Jacob Möllenbeck hatte sich grübelnd auf einen Stuhl vor die Cholerabaracke gesetzt, um auf Martin Grottkamp zu warten. Während der Nacht zum Dienstag hatte der Dauerregen überraschend aufgehört. Jetzt ließ sich sogar hin und wieder die Sonne zwischen den Wolken blicken.
    Die frische Luft und die milde Spätsommerwärme waren angenehm. Möllenbeck glaubte, dass sie auch seinen Kranken gut täten. Er hatte Fenster und Türen der Baracke zum Durchlüften weit geöffnet. Zwei neu Erkrankte waren am Morgen gebracht worden. Die Hälfte der sechzehn Betten war jetzt belegt.
    Im Choleralazarett in Köln hatten sie anno 1849 mehrere hundert Kranke behandeln müssen. Zwei Hauptabteilungen waren eingerichtet gewesen, eine für die Schwersterkrankten und eine für die Genesenden. Eine eigene Desinfektionsanstalt hatte es gegeben, eine Wäscherei, eine Apotheke und ein Leichenzimmer.
    Die Sterkrader Baracke bestand gerade mal aus zwei kargen Räumen mit geweißten Wänden, einem für die Schwerkranken und einem für die, die auf dem Wege der Besserung waren. In einer angebauten kleinen Kammer wurden saubere Wäsche und Desinfektionsmaterialien aufbewahrt.
    Wenige Ruten vom Haus entfernt hatte Möllenbeck eine Grube für die Ausscheidungen der Kranken

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