Tod an der Ruhr
Grottkamp. Er sah sich in der Küche um. Reinlich ist sie schon immer gewesen, die Elisabeth, ging ihm durch den Kopf.
Der Holzboden war blank geschrubbt, die weißen Wände schienen vor nicht allzu langer Zeit frisch gekalkt worden zu sein. Nicht ein einziger Rußfleck trübte das Glas der Petroleumlampe.
Auf einem Wandbrett waren zwei Krüge und einige Steintöpfe der Größe nach aufgereiht. Auf der Truhe beim Fenster standen eine große Schüssel und ein steinerner Wasserkrug. Daneben hingen an einem Holzbrettchen zwei Leinentücher und ein Abziehleder.
Der geschlossene, beinahe bis zur Zimmerdecke reichende Küchenschrank zeugte davon, dass es den Terfurths wahrlich nicht schlecht ging. Für dieses Möbelstück hatte der Schreiner gut und gerne seine zehn Taler bekommen.
Zwischen Schrank und Küchentisch ragte ein Nagel aus der Wand. Als Elisabeth Terfurth sich den beiden Männern zuwandte, bemerkte sie, dass Grottkamp auf ihn aufmerksam geworden war.
»Da hängt sonst unser Kreuz«, erklärte sie. »Wir haben es hinüber getragen in die Stube zum Julius.« Und während sie sich auf einen der drei Stühle setzte, fügte sie leise hinzu: »Vielleicht hat er es so leichter, wenn er da oben anklopft.«
Alt ist sie geworden, die Elisabeth, dachte Martin Grottkamp.
Seit über zwanzig Jahren hatte er nicht mehr mit ihr gesprochen. Anfangs hatte er sich davor gefürchtet, ihr noch einmal zu begegnen. Als er nach Sterkrade zurückgekommen war, hatte er zunächst versucht, ihr aus dem Weg zu gehen. Doch auf dem Markt, in der Kirche, bei seinen Rundgängen durch die Straßen des Dorfes, immer wieder war er mit Elisabeth Terfurth zusammengetroffen. Er hatte gelernt, sie freundlich zu grüßen, ihr sogar hin und wieder zuzulächeln, und irgendwann hatte es ihm nichts mehr ausgemacht, ihr über den Weg zu laufen.
Einem Gespräch mit ihr war Martin Grottkamp allerdings immer ausgewichen, und auch heute hatte er sich wieder davor gefürchtet.
Doch jetzt, da sie einander gegenübersaßen, zum ersten Mal nach so vielen Jahren, war von seiner Furcht nichts mehr übrig geblieben.
Die Witwe Terfurth, die ihn unverhohlen betrachtete, während sie ihr schlichtes, schwarzes Kleid zurechtzupfte und die Schürze darüber sorgfältig glatt strich, erinnerte ihn kaum noch an sein Liesken.
Das gelockte, schwarze Haar, das er so gern gehabt hatte, war dünn geworden und von grauen Strähnen durchzogen. Elisabeth hatte es streng nach hinten gekämmt und einen Zopf daraus geflochten, der auf dem Hinterkopf zu einem Knoten gewunden war.
Die Augen, die auf Martin Grottkamp ruhten, waren dunkel wie eh und je, aber es waren nicht mehr die großen, fröhlichen Augen, die einmal vor Liebe und Lebenslust geglänzt hatten. Die Lider waren herabgesunken. Die vom Weinen gequollenen Tränensäcke ließen Elisabeth müde aussehen. Ihre Lippen waren schmal geworden.
»Du bist ganz alleine?«, fragte Grottkamp sie.
»Die beiden Jungen sind in der Schule. Sie sollten heute nicht zu Hause bleiben. Das wollte ich nicht. Donatus ist natürlich in der Gießerei. Und die Mädchen – ach Gott, die Mädchen«, sagte Elisabeth Terfurth leise und wischte mit einem Zipfel der Schürze durch ihre Augen.
»Dem Lieschen haben wir es gestern schon überbracht, die Martha und ich. Wir beide sind am Nachmittag noch nach Buschhausen. Lieschen ist da beim Bauer Hofmann. Aber die Anna, die Arme, die weiß es noch gar nicht. Die Martha ist heute schon recht früh nach Beeck. Da ist die Anna in Stellung. Die Martha holt sie nach Hause, für das Begräbnis. Und auf dem Rückweg von Beeck holen die zwei in Buschhausen dann auch das Lieschen ab.«
»Die Martha ist die Älteste, nicht wahr?«, erkundigte Jacob Möllenbeck sich.
Elisabeth Terfurth nickte. »Sie ist neunzehn. Sie wollte nie von zu Hause weg, und ich bin froh, dass ich sie noch hier habe. Sie ist eine tüchtige Näherin. Nebenan in der Stube sitzt sie oft bis in die Nacht hinein. Ja, sie hat uns schon so manchen Silbergroschen nebenher verdient, die Martha. Sie ist immer fleißig, auch im Haus. Und den Garten, den macht sie fast ganz alleine. Sie versorgt die Tiere, die Ziege und die Hühner. Der Julius, der hat sich in den letzten Jahren ja um nichts mehr gekümmert, und da hat unsere Martha so nach und nach all seine Arbeit übernommen. Nun ja, der Donatus und die Jungen, die helfen ihr wohl bei der schweren Gartenarbeit. Aber die Martha, die kümmert sich eben um alles, die weiß immer, was zu tun
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