Tod an der Ruhr
ist.«
Als Elisabeth schwieg, suchte Grottkamp eine Weile nach den passenden Worten, um ihr Möllenbecks und sein Anliegen zu unterbreiten. Doch bevor er sie gefunden hatte, fuhr Elisabeth Terfurth fort:
»Nach der Martha haben wir die Anna bekommen, und dann noch das Lieschen. Das wird jetzt sechzehn. Zum Glück haben wir für beide recht ordentliche Anstellungen gefunden. Es können nun mal nicht alle im Haus bleiben. Und die beiden, die fühlen sich auch ganz wohl bei ihren Dienstherren.« Elisabeth machte erneut eine Pause, als müsse sie kurz nachdenken. Dann sagte sie leise: »Ein Junge ist uns weggestorben, kurz nach der Geburt, aber dann kamen ja zum Glück noch die beiden anderen. Die sind jetzt zwölf und zehn. Ja, und das war’s dann.«
Wie sie das sagte! Grottkamp sah sie erstaunt an. Er hatte die Bitterkeit, die Elisabeth in ihrem letzten Satz allzu deutlich hatte mitschwingen lassen, sehr wohl bemerkt – und das sollte er auch.
Er sollte begreifen, dass sie bei der Geburt ihres jüngsten Sohnes gerade mal einunddreißig Jahre alt gewesen war, und er sollte sich darüber wundern, dass eine so junge Frau keine weiteren Kinder bekommen hatte.
Als die beiden Männer ein Weile nachdenklich geschwiegen hatten, fragte Elisabeth: »Warum seid ihr denn gekommen? Ich meine, wenn der Herr Polizeisergeant und der Herr Heildiener gemeinsam in einem Trauerhaus erscheinen, dann tun sie das doch wahrscheinlich nicht, weil sie den Hinterbliebenen ihr Beileid aussprechen wollen.«
»Das wollten wir natürlich auch«, sagte Jacob Möllenbeck verlegen. »Aber du hast schon recht. Wir haben ein Anliegen.«
»Welches denn?«
»Also«, Grottkamp suchte nach einer möglichst harmlosen Umschreibung ihres Vorhabens, »wir wollen uns Julius Terfurth noch einmal angucken.«
»Was heißt das?«
»Nun ja«, versuchte Grottkamp zu erklären. »Wir möchten uns seinen Körper ansehen.«
»Eine Totenschau?« Elisabeth Terfurth war verblüfft.
»Nein, nein, keine offizielle Leichenbeschauung«, beeilte Grottkamp sich zu sagen. »Aber der Tote hat nun mal eine schwere Kopfverletzung. Und da ist es eben meine Pflicht, festzustellen, ob sein Körper weitere Verletzungen aufweist.«
Zu Elisabeth Terfurths Verblüffung gesellten sich Verständnislosigkeit und Ärger. »Was soll das heißen, Martin Grottkamp?«, fauchte sie ihn an. »Meinst du etwa, jemand hätte den Julius getötet?«
»Nun, ausschließen kann man das nicht.«
Elisabeth schwieg lange. Mit gesenktem Kopf saß sie ihren Jugendfreunden gegenüber. Die wussten beide nicht recht, was jetzt zu sagen war.
Erst nach einer ganzen Weile beendete Elisabeth Terfurth mit brüchiger Stimme die bedrückende Stille. »Mir ist der Gedanke auch schon gekommen. Vergangene Nacht. Kann man so heftig stürzen? Er hatte ja ein richtiges Loch im Kopf.«
Wieder war es eine Weile still in der Küche. Dann sagte Grottkamp:
»Weißt du, wenn wir ihn uns ansehen, dann gibt es eben keine gerichtlich angeordnete Leichenbeschauung. Dann ist das sozusagen kein offizieller Vorgang.«
»Jedenfalls kann es dann unter uns bleiben«, fügte Jacob Möllenbeck hinzu.
»Es sei denn, wir finden Hinweise auf einen Mord. Dann müssen wir es natürlich an die zuständigen Behörden weitergeben«, stellte Grottkamp klar.
»Macht es, bevor die Jungen aus der Schule kommen«, sagte Elisabeth leise und wies mit dem Kopf in Richtung Stube.
»Möchtest du dabei sein?«, fragte der Heildiener.
Elisabeth Terfurth schüttelte den Kopf. »Die Ziege braucht frisches Heu«, sagte sie.
Dann stand sie auf und verließ die Küche durch die hintere Tür, die zum angebauten Stall und in den Garten führte.
Dieses Mal schienen die nur halb geschlossenen Augen des Toten nicht ins Leere zu starren, sondern die beiden Männer zu fixieren, die unschlüssig in der Tür zur Stube stehen blieben. Martin Grottkamp fragte sich in diesem Augenblick, ob er überhaupt ein Recht dazu hatte, die Ruhe des Toten zu stören.
Terfurth lag in einem Sarg aus gehobelten Fichtenbrettern, den Theodor Verstegen noch am gestrigen Tag gezimmert hatte. Die Bretterkiste stand auf zwei Holzböcken in der Mitte der Stube. Der Deckel lehnte an der Wand hinter dem Kopfende des Sarges. In den hochkant gestellten Sargdeckel war ein Nagel geschlagen, an dem das Kreuz aus der Küche hing.
Zwischen dem gekreuzigten Jesus und dem verblichenen Julius Terfurth stand eine Kerze auf dem Boden, deren Flamme unruhig zu flackern begann, als Jacob
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