Tod an der Ruhr
ausheben lassen. Der Inhalt jedes entleerten Topfes wurde mit einer Schicht Erde abgedeckt, ein jeder Topf nach jeder Benutzung mit einer wässrigen Lösung gereinigt, der Möllenbeck Brom zugesetzt hatte. Auf einem Feuerplatz unweit der Grube ließ der Heildiener die Wäsche, die mit dem Kot der Kranken besudelt worden war, verbrennen.
Die Ehefrau des Gendarmen Schmitting, dem es seit heute Morgen ein wenig besser ging, stand ihm seit ein paar Tagen zur Seite. Sie putzte in der Baracke, bereitete nach seinen Weisungen kräftigende Nahrung für die Genesenden, kochte verschmutzte Wäsche aus und übernahm Wachen an den Krankenbetten.
Vom Heildiener Jacob Möllenbeck und der energischen Frau Schmitting bekamen die Kranken Zuwendung und Pflege. Den Patienten wurden Flüssigkeit und wertvolle Nahrung zugeführt, sobald sie in der Lage waren, diese aufzunehmen. Es wurde peinlich auf Sauberkeit geachtet. Die hygienischen Zustände wurden streng überwacht.
Das war nicht viel. Und doch war es mehr, als die meisten Erkrankten zu Hause erwarten konnten. Die Überlebenschancen in einer Cholerabaracke waren besonders für die Ärmsten wesentlich größer als in den stickigen Schlafkammern ihrer engen Behausungen, wo sie bei schlechter Ernährung und mangelhaften hygienischen Bedingungen verloren waren – und dazu noch das Choleragift an die Menschen weitergaben, mit denen sie klamme Betten und verschmutzte Aborte teilten.
Jacob Möllenbeck wusste, wie wichtig seine Arbeit in der Baracke für die Erkrankten war, doch zufriedener machte ihn das nicht. Immer noch starb fast die Hälfte der Cholerakranken, und er stand neben den Betten und konnte nichts tun. Das war grausam. Das konnte einfach nicht alles sein!
Ihm kam in den Sinn, dass er irgendwann mal was von einem Priester gehört hatte, der so erfolgreich eine neuartige Behandlung praktiziert hatte, dass man ihn den Cholera-Kaplan nannte. Ja natürlich, er erinnerte sich. Vor 1855 musste das gewesen sein, denn er war noch als Lazaretthelfer im Militärkrankenhaus, als er mitbekommen hatte, wie einige Ärzte über die seltsamen Heilmethoden des Kaplans debattierten. Was er damals gehört hatte über die Behandlungserfolge dieses Priesters, das hatte ihn außerordentlich beeindruckt.
Den Namen des Cholera-Kaplans hatte er vergessen. Auch an welchem Ort er gewirkt hatte, fiel ihm nicht mehr ein. Während seiner Zeit in Köln hatte er allerdings ein heilkundliches Notizbüchlein geführt, in dem er alle Erkenntnisse festgehalten hatte, die ihm damals für den Heilberuf bedeutsam erschienen waren. Vielleicht hatte er ja auch aufgeschrieben, was er über diesen Priester gehört hatte.
»Hallo, Jacob, schläfst du?«
Erschreckt fuhr Möllenbeck hoch.
Neben ihm stand Martin Grottkamp.
»Nein, nein.« Der Heildiener schüttelte den Kopf. »Ich war ganz in Gedanken.«
»Können wir denn gehen?«, fragte Grottkamp.
»Wohin?«
»Na, zu den Terfurths.«
»Ach so, ja natürlich.«
»Der Martin Grottkamp und der Jacob Möllenbeck.« Elisabeth Terfurth begrüßte die beiden Gefährten ihrer Jugend mit einem scheuen Lächeln. Gerade so hatte vor Jahrzehnten Liesken Kückelmann gelächelt und die Augen niedergeschlagen, wenn ihr der Martin vom Grottkamphof und sein Freund Jacob über den Weg gelaufen waren.
Doch dieses Mal erstarb ihr Lächeln nach nur wenigen Augenblicken, so als habe Elisabeth sich bei einer Unbesonnenheit ertappt. Seit gestern war sie die Witwe Terfurth, und der stand es nicht zu, sich über den Besuch der beiden Männer zu freuen.
»Setzt euch doch!«, sagte sie gedankenverloren und wies zum Küchentisch, an dem eine einfache Holzbank, ein Schemel und drei Stühle mit Rückenlehnen standen.
Während Grottkamp und Möllenbeck sich nebeneinander auf die Bank setzten, ging Elisabeth Terfurth zum Ofen, einem Gussofen mit zwei Kochlöchern, wie er in den Küchen vieler Arbeiterwohnungen stand. Sie nahm ein Leinentuch zur Hand und schob den heißen, irdenen Kochtopf zur Seite.
»Rüben«, sagte sie, während sie den beiden Männern den Rücken zuwandte. »Rüben mit Kartoffeln untereinander.« Aus einer Kanne goss sie ein wenig Milch in den Eintopf und rührte sie mit einem Holzlöffel ein. »Die Jungen sind immer hungrig nach der Schule. Und wenn später der Donatus und die Mädchen kommen, dann muss auch was auf den Tisch.«
Als wolle sie sich dafür entschuldigen, dass sie sich ums Essen kümmert, obwohl ein Toter im Hause aufgebahrt ist, dachte Martin
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