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Tod Auf Dem Jakobsweg

Tod Auf Dem Jakobsweg

Titel: Tod Auf Dem Jakobsweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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Sehe ich wie eine typische Pilgerin aus?»
    «Sie meinen verhärmt und schuldbeladen? Nein», er lachte leise, «ich habe den Gepäckanhänger an Ihrem Rucksack gesehen. Meiner hat den gleichen. Benedikt Siemsen», stellte er sich vor, «es sieht aus, als gehörten wir zur gleichen Reisegruppe.»
    Nachdem er erfahren hatte, sie heiße Leo Peheim, lebe in Hamburg und sei sehr früh aufgestanden, um den Zubringerflug nach Frankfurt zu erwischen, sagte er: «Dann auf gutes gemeinsames Wandern», schlug seine Zeitung auf und überließ sie ihren eigenen Gedanken.
    Der erste war erfreulich: Benedikt Siemsen konnte eindeutig den guten Zeichen zugerechnet werden. Wenn nur die Hälfte der übrigen Reiseteilnehmer so aufmerksame und — das vor allem — unaufdringliche Menschen waren, konnte die erste Gruppenreise ihres Lebens nicht völlig danebengehen.
    Der zweite Gedanke war unerfreulich. Er führte zu allen Flugzeugabstürzen, von denen sie je erfahren hatte.
    Die Maschine war inzwischen zur Startbahn gerollt, als sie grollend beschleunigte, starrte Leo auf die immer schneller vorbeiflitzende Grasnarbe, presste die gefalteten Hände aneinander, bis die Knöchel weiß hervortraten, und fand wieder einmal, dass Flugangst etwas sehr Dummes war. Die Maschine hob ab, legte sich in die Kurve, überflog die Stadt mit ihren Wolkenkratzern und schwebte endlich friedlich hoch am Himmel Richtung Süden.
    Tief ausatmend löste Leo den Gurt, beugte sich, so weit es die enge Sitzreihe zuließ, vor und öffnete die Schnürsenkel ihrer Stiefel. Genüsslich bewegte sie die Füße in der plötzlichen Freiheit und sah verstohlen nach den Schuhen ihres Nachbarn. Ordentliche Wanderstiefel, zweifellos, dennoch sahen sie leicht und flexibel aus. Mit ihren könnte sie die Höhen des Himalaja erklimmen, für eine Wanderung auf dem Pilgerweg hätte es weniger stabiles Leder auch getan. Nun war es zu spät, und wer wusste schon, wie viel spitze Steine und rutschige Abhänge sie erwarteten.
    Höchste Zeit, alles lästige Wenn und Aber zu vergessen. Die hektischen Tage vor der Abreise waren vorbei, der Sprint im Flughafen schien jetzt nur noch komisch, das endlose Blau über den Wolken, das sie an schlechten Tagen unweigerlich an einen Irrflug in die Unendlichkeit erinnerte, als Inbegriff der Freiheit.
    Freiheit. Zwei Wochen ohne Pflichten, ohne die kleinen alltäglichen Katastrophen, dafür lange Stunden an der frischen Luft, Tag für Tag in einer anderen Landschaft, prachtvolle Kathedralen, verwunschene Dörfer unter strahlend blauem Himmel... an Sturm und Regen wollte sie keinesfalls denken. Das Ziel war Spanien, und in Spanien schien die Sonne. Punktum. Auch wenn der Reiseführer erklärte, der Norden sei ein regenreicher Landstrich.
    Leo hatte nie zuvor eine so lange Wanderung gemacht, tatsächlich hatte sie überhaupt nichts gemacht, was die Bezeichnung Wanderung verdiente. traf es akkurater. So hatte sich die stets bei neuen Ideen nörgelnde Stimme in ihrem Kopf mächtig angestrengt, ihr diese Reise auszureden, hatte etwas von blutigen Füßen, von Hitzschlag und Überanstrengung geflüstert, von Scheitern auf halbem Weg, überhaupt von Schnapsidee: Leo Peheim und Gruppenreise — wenn das kein Witz war! Ja, es stimmte, wenn es um mehr als ein paar Stunden ging, war sie wenig gruppenkompatibel. Es musste am Alter liegen. Wenn man die dreißig überschritten hatte (schon vor einigen Jahren), wurde man leicht eigenbrötlerisch. Besonders als Einzelkind, da fehlten gewisse Erfahrungen zum Einüben der nötigen Toleranz. Das dicke Fell, dachte sie, das ist der passendere Ausdruck. Doch je mehr Einwände durch Leos Kopf geschwirrt waren, umso mehr hatte ihr die Vorstellung der langen, gleichwohl ziemlich bequemen Wanderung gefallen: einfach Fuß vor Fuß setzend eine unbekannte Landschaft erobern, den Gedanken ihren Lauf lassen und die Freiheit von aller Verantwortung genießen, während das Gepäck, Geißel der echten Pilger, im Bus vorausreiste und das Bett für die Nacht und ein Drei-Gänge-Menü schon im Hotel warteten. Nicht zu vergessen eine gefüllte Badewanne für die strapazierten Muskeln und wunden Füße. Und die paar Berge — kein Problem.
    «Hast du das spanische Wörterbuch, Benedikt? Ich hab nur das hier, das Wörterbuch musst du eingesteckt haben.»
    Eine junge Frau mit schmalem Gesicht unter glattem aschblondem Haar stand im Gang. Ein Jadearmreif klirrte leise gegen ihre Uhr, die so schlicht wie

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