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Tod Auf Dem Jakobsweg

Tod Auf Dem Jakobsweg

Titel: Tod Auf Dem Jakobsweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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4388 nach Bilbao. Kommen Sie bitte umgehend zu Gate 42, die Maschine steht zum Abflug bereit. Frau Peheim, kommen Sie umgehend...» Verdammt. Leo schubste den kleinen Rucksack auf ihre Schulter zurück und hastete weiter. Der Gang nahm kein Ende, und die halbe Welt schien sich auf dem Frankfurter Flughafen versammelt zu haben, einzig um sich ihr in den Weg zu stellen.
    Gate 32, 33...
    Sie sprang auf das Laufband in der Mitte des Ganges, doch der Mann vor ihr, breit wie ein Fass und mit zwei dicken Taschen bewaffnet, stand wie ein Fels in der Mitte und versuchte nicht einmal, Platz zu machen. Es war eine Schnapsidee gewesen, die Zeit zwischen den Flügen mit einem ausführlichen Frühstück zu verbringen und sich dabei in zu vertiefen. Tausend Jahre waren zweifellos viel, zwei Stunden hingegen nichts, besonders wenn man dazu neigte, über der Lektüre die Zeit zu vergessen.
    Vielleicht war die ganze Reise eine Schnapsidee. , hatte Annelotte zum Abschied gesagt. Der Weg sei ungemein spirituell, alles könne Bedeutung haben. Annelotte war seit ihrer ersten Prügelei um einen verbeulten Brummkreisel Leos beste Freundin. Früher waren sie einander in ihrem Denken und auch ihrem Tun sehr ähnlich gewesen, seit Annelotte sich ganz auf ihr Leben als Ehefrau und Mutter konzentrierte, entwickelte sie jedoch eine seltsame Neigung zu dem, was Leo Ausflug ins Übersinnliche nannte, was aber womöglich keine schlechte Idee war, wenn man mit drei außerordentlich temperamentvollen Kleinkindern und einem überwiegend abwesenden Gatten in einer noblen Vorstadt lebte.
    Falls dieser Dauerlauf durch den Flughafen das erste Zeichen war, wollte sie sich die folgenden nicht vorstellen. Das Laufband endete, Leo drängte sich an dem beleibten Mann vorbei und hastete weiter. Die Wanderstiefel hingen wie Bremsklötze an ihren Füßen, in den schweren Dingern einen Urlaub zu verbringen war absurd.
    Endlich, ganz am Ende des Ganges, erreichte sie Gate 42. Schweiß rann ihren Rücken hinab, und sie starrte grimmig die Stewardess an, die frisch wie der kühle Morgen die letzten Fluggäste abfertigte und mit einem Automatenlächeln für alle vernehmbar verkündete: «Frau Peheim? Wie schön, dass Sie es doch noch geschafft haben.» Die Maschine nach Bilbao war nur spärlich besetzt. Leo stolperte zu Reihe 16, fest entschlossen, jeden von ihrem Fensterplatz zu scheuchen, selbst ein Kind mit großen Augen. Eine fabelhafte Gelegenheit, Dampf abzulassen. Stressabbau klang allerdings besser. Leider war ihr Platz frei.
    «Hallo», sagte der Mann, der für zwei Stunden über den Wolken ihr Nachbar sein würde, mit breitem Lächeln, stand auf und nahm ihr den Rucksack ab. Während er ihn im Gepäckfach verstaute, ließ sie sich auf ihren Platz fallen und schloss erschöpft die Augen. Sie hasste Hektik. Sie musste unbedingt darüber nachdenken warum sie sich immer wieder in solche Situationen brachte, warum sie es nicht schaffte, ruhig und gelassen durchs Leben zu gehen. Oder auch nur durch die endlosen Gänge eines Flughafens. Die nächsten beiden Wochen würden dazu genug Gelegenheit bieten. Wer zweihundertzwanzig Kilometer zu Fuß absolvierte, immer geradeaus durch einsame Landschaften, durch Flusstäler und Dörfer, über Berge und Hochebenen, ohne den Lärm und die Ablenkungen des Alltags, ging zwangsläufig mit sich und seinen Marotten ins Gericht. Oder erkannte — vielleicht—, wie reich die Welt und das Leben waren, insbesondere das eigene.
    Leo entschied sich für die zweite Variante, auch wenn sie ihr allzu fromm klang. Der Mai war zu schön für strenge Gedanken, die konnten bis zum November warten, wenn düstere Nebeltage...
    «Entschuldigen Sie, aber Sie sollten sich jetzt besser anschnallen.»
    Die Stimme klang angenehm, fast wie ein vertrauliches Raunen, und es dauerte einen Moment, bis Leo, schon unterwegs in den Schlaf, begriff, dass sie zu ihrem Platznachbarn gehörte.
    «Es geht gleich los», fuhr er fort, «die Stewardess läuft schon mit Argusaugen durch den Gang.»
    Sein Lächeln war so angenehm wie seine Stimme, der ganze Mann war angenehm, das weiche braune Haar, die graugrünen Augen. Er war um einige Jahre jünger, dennoch erinnerte er sie an den Mann, für den sie immer noch einen besonders liebevollen Gedanken in ihrer Erinnerung bewahrte.
    «Sie wollen wandern», sagte er, «auf dem Jakobsweg.»
    «Woher wissen Sie das?

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