Tod Auf Dem Jakobsweg
mit der Wasser-Kalebasse und der breitkrempige Hut mit der angehefteten Muschel. Für viele gehörte auch das Schwert dazu, denn nicht nur der Teufel lauerte als schwarzer Seelenfänger, der Weg war auch voller weltlicher Gefahren.
Wallfahrten — ob nur zu einer Reliquie im nächsten Kloster oder zu den weit entfernten heiligen Gräbern — wurden als von der Kirche auferlegte Bußübung oder freiwillig unternommen, um für eine bestimmte Sünde oder ein allgemein sündiges Leben Ablass zu erbitten, um ein Versprechen an Gott zu erfüllen, um von einer Krankheit geheilt oder schwanger zu werden — aus jedem Grund, der die Hilfe Gottes oder des Apostels nötig machte. Auch die der Madonna, die Verehrung Marias und Jakobus’ war von jeher eng verknüpft. Die zahlreichen María geweihten Kirchen am Weg zeugen davon. Die Legenden und Wundergeschichten, die in den Jahrhunderten der Compostela-Wallfahrten entstanden sind und tradiert wurden, könnten viele Bücher füllen.
Aus dem Pilgerweg durch die nordspanische Wildnis wurde eine im Vergleich mit anderen Fernstraßen der damaligen Zeit starkbereiste und gesicherte Route bis ans Ende der damals bekannten Welt. Kirchen und Klöster, Dörfer, Städte und Burgen wurden gebaut, Brücken über Flüsse geschlagen, Wegabschnitte gepflastert, die Tempelritter, später die Johanniter, gründeten und betrieben Niederlassungen zum Schutz des Weges und der wachsenden Zahl der Pilger, die ersten Reiseführer Europas wurden für sie verfasst.
Die Pilger und alle, die den Pilgerweg, den camino , zu Fuß, zu Pferd oder in Wagen bereisten oder in den nahen Häfen mit Schiffen ankamen, bedeuteten für die Ortsansässigen zu allen Zeiten auch ein Geschäft. Nicht minder die anderen in großer Zahl den camino Bereisenden: Soldaten, Gelehrte, Künstler und Handwerker, Banditen, Bildungsreisende, Kleriker, Mönche und Nonnen, kirchliche und weltliche Diplomaten, Abenteurer, Bettler. Kaufleute kombinierten ihre Pilgerreise — doppelt nützlich — mit ihren Handelsgeschäften. Heute wieder lautwerdende Klagen über wandernde Pilger oder pilgernde Wanderer ohne rechte Gläubigkeit sind so alt wie der Jakobsweg. Sie mögen in vergangenen Jahrhunderten nicht so zahlreich gewesen sein, gegeben hat es sie immer.
Im Laufe der Zeit war über die ersten, noch heute bedeutenden Wege durch Frankreich in ganz Europa ein Netz von entstanden, alle vereinen sich immer noch zu dem einen, der als letzte, viele Tage lang zum Ziel führende Etappe in Puente la Reina beginnt. Eine Pilgerreise zum Grab des Apostels konnte wie die nach Rom oder Jerusalem Jahre in Anspruch nehmen. Umso mehr, als die mittelalterlichen Pilger für den Rückweg nicht einfach in ein Flugzeug oder eine Bahn steigen konnten.
Im 12. Jahrhundert erreichten die Pilgerfahrten nach Galicien ihren Höhepunkt, ab dem 15. Jahrhundert verlor das Apostelgrab zunehmend an Anziehungskraft. Dass Martin Luther vehement die Abschaffung des Pilgerwesens forderte, war nicht der eigentliche Anlass, ist aber ein Hinweis für die Zeitströmung. Andere, innerlichere Wege in die Nähe Gottes wurden üblicher, und die Zweifel an der Echtheit der Reliquie nahmen zu, unter anderem, weil auch Toulouse für sich in Anspruch nahm, sie zu besitzen. Das Misstrauen wurde stärker, nachdem die Gebeine des Apostels 1589 vor einem befürchteten Angriff der Engländer unter Sir Francis Drake in Sicherheit gebracht worden waren. Was nach dem Abzug der Engländer aus der Reliquie geworden ist, gilt als ungewiss, zumindest strittig. Wer sich auf den Weg nach Santiago machte, pilgerte nun nur noch zu dem Ort, in dessen Nähe — irgendwo — die Reliquie verborgen war. Mit dem barocken Umbau der Kathedrale 1660 wurde auch noch das leere Grab unzugänglich.
Auch waren Ende des 15. Jahrhunderts die Mauren aus Spanien vertrieben, Santiago der Maurentöter hatte also ausgedient. Zudem hörte man von Pilgern, die von der Inquisition bedroht und wochenlang verhört worden waren, und im 19. Jahrhundert entstand durch neue, erheblich einfacher zu erreichende Wallfahrtsorte wie zum Beispiel 1858 Lourdes scharfe Konkurrenz. Kurz und gut, die Pilgerreise zur Santiago-Reliquie kam aus vielen Gründen aus der Mode.
Doch die Sehnsucht nach der Nähe zum verehrten Apostel und spanischen Nationalheiligen starb nicht ganz. Schließlich ließ der Erzbischof von Santiago nach der verlorengegangenen Reliquie suchen, sie wurde prompt gefunden und wenige Jahre später,
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