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Tod auf der Donau

Titel: Tod auf der Donau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michal Hvorecky
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gigantische Geschöpf sprach mit einer fipsigen Stimme. Clark stieß die Worte nur so von sich, wohl auch deshalb, weil die schnellen Schläge seines Herzens auf sein Sprechtempo Einfluss nahmen.
    »Verehrte Passagiere, wir können aufbrechen!«, rief Martin.
    Herr Collis stellte sich mit Hilfe von drei erwachsenen Männern auf die Beine. Es fiel ihm schwer, sich irgendwie aufrecht zu halten,die Anstrengung ließ seine Beine erzittern, auch der dunkelblaue Stoff seines Hemdes bebte. Martin befürchtete, dass ihm jeden Augenblick die Knie einknicken könnten. Entgegen aller Befürchtungen schob er sich jedoch unaufhaltsam vorwärts, selbst wenn er dabei kaum Luft bekam. Die Mitreisenden halfen ihm beim Einsteigen in den Bus, sie schoben ihn förmlich nach innen, damit er irgendwie durch die Tür passte. Er brauchte zwei Sitzplätze und war nicht in der Lage, den Sicherheitsgurt zu schließen. Man sah nun allen an, wie erleichtert sie waren. Martin zählte die Pensionisten durch. Danach fuhren sie auf der A9 nach Regensburg.
    Er nahm neben dem Chauffeur Platz, griff sich das Mikrophon, und 40 Reisende lauschten aufmerksam. Er schmeichelte ihnen, bedankte sich ausführlich und lobte ihre Umsicht, dass sie den Reiseveranstalter American Danube Cruises gewählt hatten. Er war sich sicher, dass es glaubwürdig klang. Ihm war aufgefallen, dass Foxy direkt hinter ihm Platz genommen hatte. Sobald er sich ein wenig zur Seite neigte, konnte er sie in einem alten Spiegel erkennen.
    »Ich bin davon überzeugt, die nächsten zwanzig Tage bringen keinerlei Stress und Müdigkeit, vielmehr Freude und Erholung. Ich gehe davon aus, dass Sie einen unterschiedlichen Grad an Interesse für Geschichte mitbringen, und wenn sich jemand nicht unbedingt für eine bestimmte Sache interessiert, verspreche ich, derjenige wird auf keiner schwarzen Liste landen«.
    Der geradlinige Humor funktionierte.
    »Es wird der Moment kommen, wo selbst ich keine Lust mehr auf eine weitere Barockkirche oder die nächste Pestsäule habe«, kündigte er an. »Uns erwarten ungefähr dreitausend Kilometer auf der Donau, was in etwa tausendsiebenhundert Meilen entspricht. Wir wollen, dass Sie die Reise genießen. Ich werde alles tun, damit Sie diesen Urlaub niemals vergessen.«
    »Wie wird das Wetter?«
    »Sie haben ausgesprochenes Glück. Ich sprach heute Morgen noch mit dem Kapitän, und er versicherte mir, dass uns in den nächstenTagen ein wunderschöner mitteleuropäischer Sommer erwartet.«
    Frenetischer Applaus brandete auf. Foxy klatschte nicht mit. Ihre Lippen umspielte weiterhin ein Lächeln, und sie warf ihm allerlei Blicke zu.
    »Nunmehr können Sie gerne Fragen stellen. Selbstverständlich werden wir jetzt nicht allzu lange miteinander plaudern, Sie sollen sich doch endlich ausruhen können. Alles Wichtige kann ich Ihnen dann auf dem Schiff erzählen.«
    Er stand auf und verteilte Mineralwasser an die Passagiere. Er hasste es jedes Mal, im Bus herumgehen zu müssen, doch er hatte keine Wahl.
    »Wie kommt es, dass du so gut Englisch sprichst? Die Firma hat uns zwar zugesichert, dass die Leute vor Ort unsere Sprache beherrschen, doch ich hatte mir natürlich Sorgen gemacht, ob wir uns verständigen können«, fragte Ashley.
    Eine dankbare erste Frage. Er antwortete ganz automatisch. Was er antworten sollte, dafür gab es in der Firma ein ganzes Handbuch.
    »Ich liebe die amerikanische Sprache. Ich habe sie lange in der Schule gelernt, im Gymnasium, später dann auf der Universität …«
    »Du hast einen Titel, Martin?«
    »So ist es. Ich bin Magister, was bei Ihnen dem Master entspricht. Ich habe Italienisch studiert und Literatur sowie Englisch und amerikanische Geschichte.«
    Das Letztere hatte er frei erfunden, doch die Wirkung war umso größer. Von überall war ein »Oh« und »Ah« und anerkennendes Pfeifen zu hören. Er wusste, diese Nachricht würde sich augenblicklich an Bord verbreiten, und er würde von Anfang an Respekt genießen.
    »Wir sind froh, dass uns die ADC einen solch qualifizierten jungen Mann zuwies!«
    »Ich bin so gern für die Gesellschaft tätig. Es ist mir eine Ehre, dabei zu sein.«
    Er log wie gedruckt. Überall in Mittel- und Osteuropa arbeitetenauf Martins Position Leute mit Hochschulbildung. Unter seinen Kollegen fanden sich Sprachwissenschaftler, Musikkritiker, Theaterdramaturgen und sogar Philosophen.
    »Wie oft hast du die Reise bereits absolviert?«
    »Das kann ich nicht einmal mehr sagen, viele Male«, antwortete

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