Tod auf der Donau
er.
Die Route war ein neues Produktangebot im Katalog, und alle an Bord machten die Reise zum ersten Mal. Bis zum Donaudelta war bislang noch nie ein ADC-Schiff gefahren.
»Macht dir die Arbeit Spaß? Es muss mitunter schwer sein, mit Menschen unserer Generation.«
»Wer hat Ihnen das denn auf die Nase gebunden? Das kann ich gar nicht glauben … aber allen Ernstes – wenn Sie erst mal all die Schönheiten und bezaubernden Orte sehen, die Burgen, das Kulturangebot, wenn Sie die neuen Sprachen kennenlernen, dann werden Sie gewiss verstehen, dass so etwas einen Menschen niemals langweilen kann. Auf der Donau gibt es immer etwas zu entdecken.«
Die müden Reisenden machten es sich in den Sitzen bequem, sie versuchten, die beste Position für ihre Beine zu finden, und dösten ein. Ab und zu gab es noch eine Frage, Martin beantwortete sie, dann ließ er ganz leise etwas Musik laufen. Ein paar Minuten lang würde er jetzt verschnaufen können. Er öffnete einen Autoatlas und verfolgte darauf die Fahrt.
Schon von seiner Kindheit an mochte er Landkarten. Stundenlang vermochte er sie zu betrachten, und in seinem Kopf rotierte die pure Abenteuerlust. Ein jedes Land hatte eine andere Farbe, rot, braun, grün, und das Wasser war blau. Es quälte ihn die Sehnsucht nach allem, das weit entfernt lag.
Die Donau erinnerte an eine lang gezogene Schlange, deren Kopf im Schwarzen Meer lag, ihr Körper breitete sich über den gesamten Kontinent aus, und die Schwanzspitze verlor sich irgendwo im Schwarzwald. Der Fluss faszinierte ihn. Dorthin musste er mal fahren! Die Schlange hatte ihn hypnotisiert.
Schon als Kind ging er zum Lesen an die Ufer der Donau. Er stelltesich vor, wie es um ihn herum nur so vor Gestalten aus diversen Büchern wimmelte – die Seelen verblichener Schiffer, Seeleute mit einem Eisenhaken, die Schatten von Erhängten auf ihren Galgen, verrückt gewordene Kapitäne, blutrünstige Piraten und ausgesetzte Säuglinge in ihren Wiegen.
In den Donaugeschichten mangelte es nicht an Gespenstern und Geistern, die während all der schrecklichen Zeiten den Fluss heimsuchten und die Menschen in unbekannte Tiefen zogen; die Wassermänner ersäuften nur zu gerne Kinder. Er träumte davon, unweit die Stimmen trauriger Mütter und Ehefrauen zu vernehmen, er hörte die Stimmen der Ertrinkenden, das Gewimmer der verlassenen Säuglinge, bis der Fluss ihre nächtlichen Klagen verschluckte.
Der Bus nahm nach hundertfünfzig Kilometern den letzten Teil der Etappe in Angriff. In der Ferne konnte man schon die Umrisse der alten Donaubrücke erkennen. Hier nahm die Donau drei weitere kleine Zuflüsse in sich auf: die Laaber, die Naab und den Regen. So kam es, dass Regensburg als die Stadt der vier Flüsse galt.
»Meine sehr geehrten Reisenden, demnächst werden wir gemeinsam das Schiff betreten. Wenn Sie durch die vorderen Fenster blicken, erkennen sie die Donau und die sogenannte Steinerne Brücke, sie wurde 1146 auf Geheiß des bekannten Fürsten Heinrich dem Stolzen fertiggestellt. Sie wurde zum Vorbild für viele andere europäische Brücken, auch die berühmte Karlsbrücke in Prag orientiert sich an ihr. Die Brücke lässt kleinere Schiffe unter sich passieren, doch die Wege der internationalen Schifffahrt stromaufwärts enden zumeist hier. Von den ursprünglich drei Türmen blieb nur einer erhalten, man nennt ihn das Brücktor. Wer es schafft, diesen Namen zu wiederholen, der hat bei mir einen Drink frei. Und rechts von Ihnen erwartet sie bereits die
America
!«
Sobald die Passagiere das Schiff sahen, verschlug es ihnen den Atem. Es dämmerte, doch auf dem Blechpanzer war ganz deutlich und leuchtend die Aufschrift »MS America« zu erkennen, aus eleganten Metallbuchstaben zusammengesetzt. Das Schiff erinnerte anein lebendig gewordenes Gemälde, das aus den Tiefen aufgetaucht war, um dort irgendwann erneut unterzutauchen. Fachleute hielten die
MS America
für das schönste Donauschiff. Die Konstruktion überragte alles andere in ihrer Nähe. Obenauf befand sich die Kapitänsbrücke. Der Rumpf sah aus wie ein großes Wassertier, das nur darauf wartete, mit Menschen gefüttert zu werden.
Die
America
hatte vor einem Jahr sogar einen Fahrtrekord auf dem Weg von Melk nach Passau aufgestellt. Ihr Innenleben hatten die Ingenieure überaus innovativ und überlegt gestaltet: drei Stockwerke mit Kajüten, ein zwanzig Meter langer Pool, ein Restaurant, eine großzügige Wellnesszone, zwei Saunen, ein Rauchersalon, es gab sogar eine
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