Tod auf der Fähre (German Edition)
lag mit entstelltem Gesichtsausdruck da, nein, falsch, mit ungläubigen, von Entsetzen geweiteten Augen. Ferrari war nahe daran, sich zu übergeben. Verstärkt wurde sein drückendes Gefühl in der Magengegend noch durch das Schwanken der Fähre.
«Ah, da sind Sie ja, Chef. Ich habe bereits alles Notwendige veranlasst. Der Mann ist wahrscheinlich erschlagen worden.»
Ferrari nickte mit zusammengepressten Lippen. Wahrscheinlich müsste er erbrechen, wenn er jetzt etwas sagen würde. Als er den Polizeiarzt Strub fragend anschaute, bestätigte dieser kopfnickend Baers Theorie.
«Die genaue Todesursache und alles Weitere erhältst du morgen früh, Francesco. Wenn du ins Büro kommst, liegt der Autopsiebericht auf deinem Schreibtisch. Du siehst bleich aus. Ist dir übel?»
Ferrari setzte sich auf die Holzbank im Innern der Kabine. Langsam bekam er seine Magenwände wieder in den Griff.
«Ich habe immer gedacht, dass ihr Italiener ein Volk von Seefahrern seid. Du scheinst aus der Art geschlagen zu sein», stichelte Strub.
Der Kommissär fühlte sich viel zu schlecht, um mit seinem Kollegen zu streiten. Das einzig Italienische an ihm war sein Name. Seine Familie lebte seit mehreren Generationen in der Schweiz. Er selbst war mit Leib und Seele Basler und sprach kein einziges Wort Italienisch, wenn man von Ciao absah. Komisch, dachte er, wie ein Name eine Verbindung schaffen kann.
«Du weisst ganz genau, Peter … ach was … was solls?», wischte er seine letzte Bemerkung mit einer Handbewegung weg. «Du bist ein hoffnungsloser Fall.»
Ferrari wandte sich wieder dem Toten zu. Er war wie ein Handwerker gekleidet. Er trug einen Overall, oben über der behaarten Brust geöffnet, dazu Turnschuhe. Seine feingliedrigen Hände passten irgendwie nicht zu seiner Kleidung. Eine attraktive, athletische Gestalt, so um die Fünfzig. Der Mann war sich seines guten Aussehens bestimmt voll bewusst gewesen. Es kam ihm vor, als ob er ihn schon einmal gesehen hätte.
«Ich kenne den Mann von irgendwoher.»
«Da bin ich sicher. Jeder hier kennt ihn, Chef.»
Und als der Kommissär seinen Assistenten fragend anschaute, fuhr dieser betont genüsslich fort. «Da liegt der berühmte Frank Brehm, seines Zeichens der bedeutendste Schweizer Künstler der Gegenwart.»
Ferrari schlug sich mit der rechten Hand gegen die Stirn. Natürlich! Frank Brehm, der grosse Basler Künstler, Gaststar an der Documenta in Kassel, hatte zahlreiche Auszeichnungen in verschiedenen Ländern erhalten und bedeutende Museen nahmen seine abstrakten Werke in ihre Sammlungen auf. Und, wenn er sich nicht irrte, dann fand zurzeit in einer Basler Galerie eine weit über die Grenzen hinaus gerühmte Ausstellung der neusten Werke des Genies statt. Gestern oder vorgestern hatte er einen ganzseitigen Bericht in der «Basler Zeitung» über die Ausstellung überflogen. Ein Loblied, eine einzige Hymne. Ferrari nahm sich vor, den Artikel zu Hause nochmals zu lesen.
«Das gibt einen interessanten Fall», hörte er Baer sagen.
«Interessant?»
«Aber ja doch, Chef. Stellen Sie sich die Publizität vor, wenn wir den Mörder stellen!», Baers glänzende Augen waren nicht zu übersehen. Er fuhr mit der Hand durch die Luft und schrieb bereits die Schlagzeilen: «Basler Polizei fasst den Mörder von Frank Brehm!»
«Vorerst wird es wohl erst einmal heissen, Frank Brehm ermordet, die Basler Polizei tappt im Dunkeln!», murmelte Ferrari.
Die Leiche wurde abtransportiert.
«Francesco. Willst du die Leiche nochmals sehen?», fragte Strub.
«Das muss nicht sein.»
«Für einen Kommissär bist du manchmal recht zart besaitet», bemerkte der Arzt, nickte Baer kurz zu und verliess die Fähre.
«Haben Sie die Personalien des Fährimanns aufgenommen, Baer?»
«Aber selbstverständlich, Chef.» In der Antwort seines Assistenten schwang eine Spur von Ärger und Arroganz mit. Baer stapfte dem Polizeiarzt nach. Der Kommissär sah sich nochmals in der Kabine um. Wahrscheinlich, nein, sicher war seinem Assistenten nichts entgangen, aber man konnte ja nie wissen. Das Innere der Kabine war schlicht und zweckmässig eingerichtet. Bänke den Wänden entlang, für die Fahrgäste, falls es regnete und sie sich ins Trockene setzen wollten. Eine Ablage mit kleinen Basler Souvenirs und eine Kiste mit persönlichen Dingen des Fährimanns. An den Wänden hingen einige Ansichtskarten, die begeisterte Touristen geschrieben hatten. Ferrari nahm ein von Blasius verfasstes Buch in die Hand. Er blätterte
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