Tod auf der Northumberland: Roman - Ein Fall für John Gowers (German Edition)
fühlte das Auf und Ab der Northumberland stärker, als ihr lieb war, und kämpfte doch gegen den Wunsch, sich beim Kaiser entschuldigen zu müssen, mit der natürlichen Kraft an, die sie als Generalsfrau ihr Eigen nannte. Dann verschlug es ihr allerdings die Sprache.
»Dort vorn ist der Klüverbaum, und hier …«
Selbst Napoleon verstummte.
Zwei Matrosen hatten die kleine Gruppe offensichtlich nicht kommen sehen und waren ins Klüvernetz gestiegen, um zu tun, wozu dieser Teil eines Segelschiffs der Mannschaft seit Beginn der christlichen Seefahrt dient. Madame Bertrand überlegte, ob es opportun wäre, in Ohnmacht zu fallen, als die beiden nahezu gleichzeitig die Hosen herunterließen und sich in das Netz hockten. General Bertrand war schon vorgetreten, um die schamlosen Schmutzfinken zur Ordnung zu rufen, aber Napoleon fühlte, dass das die Sache für alle Beteiligten nur noch peinlicher machen würde, und sagte: »Galionsfiguren, Madame. Englische Galionsfiguren.«
Madame Bertrand lächelte säuerlich. Nie wieder würde sie den Anblick eines Segelschiffs als majestätisch empfinden können.
50.
Der Arzt hatte eine merkwürdige Art, es ihn büßen zu lassen. Gowers hatte sich natürlich entschuldigt, schon mehrfach, und Van Helmont hatte die Entschuldigung auch jedes Mal angenommen oder zumindest »Schon gut!« geknurrt. Aber er ging ganz einfach seiner Wege. Das heißt, er sprach zwar ganz normal mit Gowers, blieb aber dabei nicht mehr stehen, sodass der Investigator ihm zumindest bei Gesprächen an Deck ständig hinterherlaufen musste.
Dabei wirkte der Doktor allerdings keineswegs beleidigt oder beleidigend, nur ein bisschen amüsiert, so als wollte er den übrigen Passagieren sagen: »Ich weiß auch nicht, wer das ist. Folgt mir schon seit Tagen. Scheint menschliche Nähe zu suchen.«
Außerdem war er drauf und dran, sich anzugewöhnen, ihn »mein Junge« zu nennen, und nur wenn Bekannte zu ihnen stießen, hielt er sich damit ein wenig zurück.
»Ah, Doktor Van Helmont, Mr. Thompson!«
»Lord Eden!«
»Wollen Sie etwa der Beseitigung dieser unglücklichen Kochkreatur beiwohnen? Hat der Gute eine klaffende Lücke in Ihrer Gefühlswelt hinterlassen, ja?«
»Nein«, sagte Gowers, »aber auf See ist man ja für jede Abwechslung dankbar, auch wenn es nur eine Bestattung ist.«
»Weiß man schon, woran dieses Wesen verendet ist?«, fragte Eden den Arzt. »Ich habe gehört, Sie haben ihm in den letzten schweren Stunden tapfer zur Seite gestanden …«
»Es war Unhöflichkeit, Mylord«, sagte Van Helmont. »Vivés war so ein zarter, feinfühliger Mensch, ein wahrer Franzose.
Die Umgangsformen auf diesem Schiff haben ihn einfach krank gemacht. Und aus Scham darüber ist er gestorben.«
»Ah.« Edens Gesicht wurde durch ein gequältes Grinsen noch hässlicher, aber grinsen musste er, weil er den Mienen der beiden Männer entnahm, dass jede weitere taktlose Bemerkung Prügel nach sich gezogen hätte. Erst als er ihnen aus dem Weg gegangen und sie schon ein Stück weiter weg waren, siegte die Frechheit über seine Angst.
»Und ich hatte schon befürchtet, es war das Essen.«
»Hallo, Thompson. Doktor!«
Leutnant Carver hatte zwar seine roten Ohren behalten, aber fast täglich an Selbstsicherheit gewonnen, seit Emmeline seine Werbung offiziell angenommen beziehungsweise wohlwollend in Erwägung zu ziehen versprochen hatte. Sie hatte sich sogar ausführlicher als gesellschaftlich üblich die Hand von ihm küssen lassen, und er hoffte zuversichtlich, sich im Verlauf der nächsten Woche bis zur Wange, vielleicht sogar bis zum Mund weiterzuarbeiten. Als Liebespfand hatte sie ihm ein Taschentuch mit Monogramm überlassen, sodass er sich zunehmend wie ein Ritter der Tafelrunde aus Malorys Le Morte Darthur vorkommen durfte.
Was ein britischer Offizier bei der Bestattung eines französischen Schiffskochs zu suchen hat, war ihm weniger klar, aber Emmeline hatte seine Anwesenheit bei diesem Ereignis ausdrücklich erbeten, und wenn Emmeline darum gebeten hätte, wäre er auch zur Hochzeit eines sizilianischen Fischers in voller Montur erschienen.
Sie stand während der kurzen Zeremonie neben ihrem Bruder, lehnte sich aber, für alle gut sichtbar, schon nicht mehr an Daniel Thompson, sondern an die Schulter ihres hochbeglückten Verehrers, als sie begreiflicherweise von der Erinnerung
an die ganz ähnliche Bestattung ihres Vaters vor wenigen Wochen überwältigt wurde. Carver legte fürsorglich, vorsichtig
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