Tod auf der Northumberland: Roman - Ein Fall für John Gowers (German Edition)
Prediger an. Alle Ironie, die Verbindlichkeit, die Van Helmont an ihm schätzen gelernt hatte, waren ausgelöscht, und obwohl kein Wort fiel, spürte der Arzt plötzlich eine tiefe, unversöhnliche Feindschaft. Für den Bruchteil einer Sekunde hatte er sogar das Gefühl, Gowers würde den Mann einfach über Bord werfen, nein, er hätte ihn bereits über Bord geworfen.
Auch Reverend Parker schien diese Drohung zu empfinden,
denn er wich einen Schritt zurück. Aber, Gott war mit ihm, er ärgerte sich sofort darüber, und während er sich leicht nach vorn beugte, als würde er ihnen ein gut gehütetes Geheimnis verraten, flüsterte der Prediger mit engen, bösen Augen: »Wissen Sie, was die Hölle ist, Sir?!«
»Ja«, sagte Gowers ruhig und sah wieder auf Himmel und Meer. »Ich war schon mal da.«
52.
Ben Williams war fünf Jahre alt, als ihn die Erde zum ersten Mal verschluckte. Er hatte keine Angst, aber er fror. Es war ein kalter Morgen, und es würde noch Stunden dauern, bis die Sonne aufging, und selbst dann würde sie nichts wärmen, nichts auftauen als das weiß erstarrte Gras auf den Hügeln.
Im Förderkorb schmiegte er sich eng an seine Mutter und an Mary-Ann und fühlte sich sicher. Es war fast wie abends im Bett. Sie schliefen jetzt immer zu dritt in ihrem Bett. Beth hatte das vorgeschlagen, nachdem Mary-Ann im letzten Jahr einen ganzen Kopf größer geworden war.
»Entweder du und ich und die Kinder bei Mum. Oder du und die Kinder und ich bei Mum!«
Das war Jane lieber gewesen. Obwohl sie sich inzwischen besser kannten, als sie ihre Schwestern je kennengelernt hatte oder je kennenlernen wollte, hätte sie die Anwesenheit eines erwachsenen Menschen in ihrem, in Johns Bett nicht ertragen. Außerdem wollte sie ihren Jungen nicht hergeben, und Ben hätte sie vermutlich auch nicht verlassen.
Mit der jetzt elfjährigen Mary-Ann war das anders. Sie war ein stilles Kind und sehr hübsch geworden. Jane genoss es, ihr das wilde rote Haar zu kämmen, und weinte manchmal, wenn
sie daran dachte, dass John sich noch ein Kind, am liebsten ein Mädchen, gewünscht hatte; nicht jetzt, aber in zwei, drei Jahren.
Ben schlief gerne mit Mary-Ann zusammen im Bett. Sie war so angenehm warm, viel wärmer als seine Mutter, die ihn immer mit ihren kalten Füßen ärgerte. Die sich auch nachts hin und her warf und keinen Frieden fand und ihn dabei aufweckte.
Mary-Ann schlief ganz ruhig, sobald sie die Augen zumachte. Sie drehte ihm den schmalen Rücken zu, manchmal kitzelten ihre Haare in seinem Gesicht, aber dann legte er eine Hand auf ihren Kopf und wischte das Haar weg. Und am wohlsten fühlte er sich,wenn er ein Ohr an ihren Rücken legte, die Wärme ihres Körpers an seiner Wange spürte und ihr Herz schlagen hörte, ein leises, langsames Pochen, wie von weit her.
Jane wurde verrückt, wenn er das bei ihr tat. Sie fühlte dann ihr eigenes Herz, und das mochte sie nicht. Drehte sich lieber um und nahm ihn fest in die Arme, bis er eingeschlafen war.
Sie hatte sich lange dagegen gesträubt, ihren Sohn in den Berg zu lassen. Aber Mutter Irvine nähte jetzt wieder in der Fabrik und konnte tagsüber nicht länger auf ihn aufpassen. Außerdem war Jack Hull zu den Pferden versetzt worden, die kleine Helen schleppte nun an seiner Stelle, und man brauchte ein Kind am Tor. Zumindest wäre sie so den ganzen Tag mit Ben zusammen, redete sie sich ein.
Tief in der Erde war es viel wärmer als oben, und er brauchte die beiden zerrissenen Kohlesäcke nicht, die seine Mutter ihm um die Schultern gelegt hatte. Er faltete sie zusammen, um weicher zu sitzen. Dabei vergaß er allerdings auch nicht, die knarrende kleine Tür anzustoßen, in der seine Mutter und Mary-Ann und Beth und das fremde kleine Mädchen und der große dünne Mann verschwunden waren.
»Hallo, Kumpel!«, hatte der zu ihm gesagt, und eine riesige schwarze Pranke, stark wie ein Schraubstock, hatte sich um seine kleine Hand gelegt und sie geschüttelt, seinen ganzen Arm, seinen ganzen Körper geschüttelt. »Wir Kumpel müssen zusammenhalten gegen die Weiber«, hatte er gesagt, und Ben hatte genickt, aber gar nicht verstanden, wen oder was der Hauer, ein uralter Mann von fünfundzwanzig Jahren, eigentlich meinte.
Vor der Dunkelheit hatte er keine Angst, er hörte ja an dem leisen Scharren, Klopfen, Hämmern, das aus allen Wänden und sogar von oben herab zu ihm drang, dass er nicht allein war. Manchmal grollte es auch in der Erde, ein feines, sehr leises Knarren,
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