Tod auf der Piste
Cappuccinotassen zurück. Der Milchschaum war so perfekt, dass er jedem Barista zur Ehre gereicht hätte. Und Irmi war sich sicher, dass es der zweitbeste Cappuccino ihres Lebens war. Den besten gab es immer noch im Autogrill gleich hinter Sterzing.
Maria Buchwieser setzte sich auf die Sessellehne und wischte sich ein paar Tränen aus den Augenwinkeln, ganz kurz nur. Dann sagte sie: »Ernst hat sein Leben lang Menschen provoziert. Er hat immer Grenzen verletzt. Er hat so viele Drohungen erhalten, er hatte so viel Streit mit Gott und der Welt.« Sie schwieg.
»Es gab also ziemlich viele Feinde?«, fragte Irmi nach und nahm noch einen Schluck von dem göttlichen Cappuccino.
»Ja, viel Feind, viel Ehr. Ernst hat immer gesagt, dass nur der zu echten Höhen aufsteigen kann, der es aushalten kann, angefeindet zu werden. Bei ihm war jede Lebensäußerung in irgendeiner Philosophie begründet.« Sie machte eine Handbewegung zur Bücherwand hin. »Nichts als Philosophen. Er hat Altgriechisch studiert, er kennt seine Denker. Es ist schwer, mit jemandem zu diskutieren, der nichts einfach so sagt, der nichts einfach so tut. Er hatte immer eine Begründung für sein Tun – eine gute, eine heroische.«
Die wenigen Tränen, die aus ihren Augen traten, waren keine Tränen der Verzweiflung. Es waren Tränen der Melancholie, Tränen, die man weint, wenn die hektische Anspannung in bleierne Trauer mündet.
»Es war also schwierig, mit ihm zusammenzuleben?«
Sie nickte. »Ernst sagte mal im Scherz: ›Es ist nicht leicht, ein Gott zu sein‹, natürlich als Anspielung auf den Film. Aber wissen Sie, es ist noch schwerer, mit einem Gott zu leben. Unfehlbarkeit ermüdet.«
Beide Frauen tranken schweigend ihren Cappuccino.
»Gibt es denn ganz aktuell Feinde?«, fragte Irmi schließlich.
Maria Buchwieser stand auf, durchschritt den Raum und verschwand durch eine Tür, die von Büchern eingerahmt war und von ihnen erdrückt zu werden schien. Als sie zurückkam, hatte sie einige Papiere dabei, die mit bunten Buchstaben beklebt waren. Irmi hatte eigentlich gedacht, so etwas gäbe es nur in Filmen oder bei Enid Blyton. Drohbriefe mit ausgeschnittenen Lettern – wer machte heute denn noch so was?
Verpiss dich!
Kümmer dich um deinen Scheiß!
Wenn du weiter störst, mach ich dich kalt!
Du lebst nicht mehr lang, du eingebildeter Arsch!
»Ich habe sie nach der Reihenfolge sortiert«, sagte Maria Buchwieser. »Ernst fand das wahnsinnig witzig. Er wollte sich ausschütten vor Lachen.«
»Haben Sie eine Idee, von wem das stammen kann?«
Maria Buchwieser lachte ein bitteres Lachen. »Wie viel Zeit haben Sie? Ich kann Ihnen eine Liste machen. WM-Komitee, Hoteliersverein, Lehrerkollegium, Eltern von Schülern.«
Irmi ließ den Blick nochmals über die Blätter gleiten. Die Sprache war eher derb, aber das konnte natürlich dazu dienen, die wahre Identität des Absenders zu verschleiern. »Wann kam denn der letzte?«, fragte sie.
»Vorgestern«, sagte Maria Buchwieser leise.
»Haben Sie die Umschläge noch?«
»Nein, Ernst hat sie verfeuert. Aber sie kamen über das Briefzentrum Starnberg, man kann ja heute nicht mehr sehen, wo ein Brief eingeworfen wurde.«
»Ich nehme diese vier Machwerke mal mit, vielleicht können wir was sichern. Als Vergleichsprobe bräuchte ich bitte Ihre Fingerabdrücke und DNA, auch eine von Ihrem Mann, wenn das geht. Haare aus der Haarbürste eventuell? Ich würde nachher jemanden vom Erkennungsdienst schicken.« Irmi betrachtete ihr Gegenüber. Solche Fragen, solche Vorgehensweisen machten einen Mord auf einmal so endgültig.
Aber Maria Buchwieser nickte nur und fragte dann: »Erschossen, sagen Sie? Wo denn?«
»Das ist das Seltsame daran. Ihr Mann befand sich zum Zeitpunkt der Tat auf der Kandahar-Piste. Er trug Skier. Uralte Skier und dazu eine Uraltmontur: einen Skianzug mit einer WM-Startnummer von 1978, der Nummer siebzehn. Können Sie sich darauf einen Reim machen?«
Zum ersten Mal wirkte Maria Buchwieser wirklich entsetzt. Es war, als hätte sie viele Szenarien im Kopf durchgespielt, als hätte sie sich gewappnet über die Jahre. Als hätte sie ihr Herz verhärtet. Aber nun war sie völlig konsterniert.
»Die Nummer siebzehn?«
»Ja.«
Maria Buchwieser stand auf und trat an die offene Terrassentür. Das Licht spielte mit ihren Haaren, eine rötliche Aura umgab ihren Kopf. Ihre Schultern zuckten. Irmi ließ ihr Zeit.
Endlich wandte sie sich um und sagte leise: »Das ist das Gwand vom Kurtl. Und
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