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Tod den Unsterblichen

Tod den Unsterblichen

Titel: Tod den Unsterblichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederik Pohl
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Grinsen. Nämlich als der Toningenieur von Kanal Drei hereinstürzte und ihm sagte, daß der Chef bewußtlos auf dem Boden der Herrentoilette liege und wie ein undichter Dampfkessel atme.
     
    Cornuts Sinne begannen durch den ihm eingeflößten schwarzen Kaffee allmählich wieder einigermaßen normal zu funktionieren. Er war noch nicht nüchtern, aber immerhin imstande zu kapieren, was um ihn herum vorging. Er hörte Rhame mit Locille reden: »Was er eigentlich nötig hat, sind massive Vitaminspritzen. Die würden ihn gleich wieder auf die Beine bringen – aber Sie haben ja selbst gesehen, wie es bei der Universitätsklinik aussieht. Wir müssen eben warten, bis er wieder nüchtern ist.«
    »Ich bin nüchtern«, sagte Cornut schwach, aber er wußte, daß es nicht stimmte. »Was ist passiert?«
    Er hörte sich an, was sie ihm über die Vorfälle in den letzten vierundzwanzig Stunden erzählten. Locilles Bruder tot, Egerd tot, eine Seuche im ganzen Land ausgebrochen … die Welt hatte sich verändert. Er hörte zu und war beeindruckt, aber sein Alkoholspiegel war noch so hoch und der Druck, den die Unsterblichen auf ihn ausübten, noch so stark, daß er imstande war, die neue Welt objektiv zu betrachten. Schlimm, sehr schlimm. Aber – er schämte sich – warum hatte er es nicht geschafft, sich umzubringen?
    Locilles Hand lag in seiner Hand, und Cornut, der Locille ansah, wußte, daß er sie nie wieder loslassen wollte. Er war nicht gestorben, als er sterben sollte. Jetzt … jetzt wollte er leben. Es war zwar beschämend, aber er konnte es nicht abstreiten.
    Er fühlte noch den Alkohol in sich, der der Welt ein freundliches, frisches Aussehen verlieh. Er schämte sich, aber es war ein fernes Gefühl; eine Jugendsünde, schlimm, gewiß, aber sie lag schon so lange zurück. Inzwischen fühlte er sich behaglich und geborgen. »Bitte trink noch etwas Kaffee«, sagte Locille, und er gehorchte ihr gern. All die Stimulanzien der letzten vierundzwanzig Stunden wirkten gleichzeitig auf ihn, die Prügel, die Anstrengung, der Druck der Unsterblichen. Der Alkohol. Er erhaschte einen Blick von Locilles Gesichtsausdruck und merkte, daß er vor sich hin gesummt hatte.
    »Verzeihung«, sagte er und hielt ihr die Tasse hin, damit sie ihm noch etwas Kaffee einschenke.
     
    Um den Texas herum wurden die Wogen höher. Die schwarzen Kähne tanzten wie Holzspäne.
    Locilles Eltern trotzten dem windgepeitschten Regen, um Zeuge zu sein, wie der Sarg ihres Sohnes auf das schwarze Deck des Bestattungskahnes hinabgelassen wurde. Sie waren nicht allein – Dutzende von Trauernden standen neben ihnen, Fremde –, und es war nicht still. Senngg sirrten die vibrierenden Stahlkabel. Tschipfi, tschipfi pumpten die Pumpen in den Beinen des Turms die von den Wellen eingefangene und zusammengepreßte Luft durch Ventile in die Drucktanks der Generatoren. Die Musik ging in dem Lärm fast unter.
    Es war Sitte, bei Bestattungen feierliche Musik von Tonbändern abzuspielen, die zu diesem Zweck in der Bibliothek aufbewahrt wurden. Die Hinterbliebenen hatten das Recht, das Programm auszusuchen – Kirchenlieder für die Religiösen, Bachchoräle für die Bewunderer der Klassiker, Largos für die gewöhnlichen Trauernden. Heute gab es keine Auswahl. Die Lautsprecher spielten ununterbrochen ein willkürliches Potpourri von Grabgesängen. Es gab zu viele Trauernde, die zusahen, wie ihre Kinder, Eltern oder Frauen an Flaschenzügen hinunter auf die schwankenden Kähne schaukelten, um in der Tiefsee bestattet zu werden.
    Sechs, sieben … Locilles Vater zählte sorgfältig acht vor dem Texas verankerte Kähne, die darauf warteten, beladen zu werden. Jeder Kahn hatte Platz für ein Dutzend Leichen. Es war eine schlimme Krankheit, dachte er objektiv und stellte fest, daß sich nur so wenige Trauernde eingefunden hatten, weil – häufig genug – ganze Familien gemeinsam auf die Kähne geladen wurden. Er rieb sich den Nacken, der zu schmerzen begonnen hatte. Die Mutter an seiner Seite dachte oder zählte nicht, sie weinte nur.
     
    Als Cornut nüchtern wurde, sah er allmählich seine Welt und seinen gestrigen Tag unter einem strengeren, schärferen Gesichtswinkel. Rhame half ihm dabei. Der Polizist besaß die Papierschnitzel, die Cornut zurückgelassen hatte, und verhörte ihn unerbittlich: »Warum mußten Sie sterben? Wer sind die Unsterblichen? Wie brachten sie Sie zu Ihren Selbstmordversuchen – und warum haben Sie sich vorhin nicht umgebracht, als Sie die

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