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Tod eines Eisvogels - Roman

Tod eines Eisvogels - Roman

Titel: Tod eines Eisvogels - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Schweiß, Kohl und Kölnisch Wasser.
     
    Stumpfes Haar, schlurfende Schritte, ein zögerliches Lächeln durch die Scheibe der F 3 – das war meine Schwester, farblos und über die Jahrzehnte geschrumpft auf die wenigen Koordinaten ihrer Existenz. Und wenn sich hinter mir der Schlüssel der Pflegerin in der dicken Stationstür drehte, lief ich, der hellen Lichtspur folgend, die dunkle Treppe zum Park hinunter, und fuhr zurück in mein Leben, wo ich mir, zu Hause angekommen, als erstes die Hände wusch.
    Einmal begrüßte sie mich grinsend durch die Glasscheibeder geschlossenen Frauenstation mit einer auf Mittel- und Zeigefinger steckenden Zitrone, die ihr das Nikotin von der Haut lösen sollte. Eine gelbe, gesichtslose Fingerpuppe, deren Geruch mir kitzelnd in die Nase stieg, als ich Leni umarmte.
    Bei Mutter tauchte sie jedesmal abgerissen auf, stand schon morgens um neun im Küchentürrahmen, in der Hand ihre leere, plattgedrückte Sporttasche. Mit gespielter Strenge jagte sie Leni dann unter die Dusche und legte ihr frische Sachen hin, beschämend unmoderne Blusen, die ihr selbst angeblich zu klein waren; ausrangiertes Zeug, das sie meiner Schwester frisch gebügelt mit den immer gleichen Wendungen aufnötigte. Im Heim zwang man sie, sich täglich zu waschen und frische Wäsche anzuziehen. Doch seit wir unterwegs waren, hatte ich sie immer nur in denselben Sachen gesehen.
    Der Anblick ihres nackten, ausgemergelten Körpers erschreckte mich. Unter den geröteten Achseln hatte der Schweiß dunkle Flecken in die Haut gefressen, und an ihren Oberschenkeln liefen die Adern grünlich durch die leicht wellige Haut. Mir war, als sehe ich sie mit neuen Augen: die ungeschnittenen Zehennägel und ihre fast schwarzen Fußsohlen. Bei Vater war der Tod auf schwarzen Sohlen gekommen.
    Als wir noch kein eigenes Bad hatten, nahm Mutter Leni und mich jeden Samstagmorgen mit in dienahe Badeanstalt. Unsere frischen Sachen stopfte sie in Vaters braune Aktentasche, in der er sonst die Thermosflasche trug, die sie ihm jeden Morgen zusammen mit ein paar Butterbroten dort hineinschob. Leni hatte sich schon damals geziert, wenn Mutter uns unsere Kulturtäschchen auf den Küchentisch stellte und sich ihren Kamelhaarmantel überwarf.
    In der gemieteten, engen Kabine setzte sie uns in die von dunklen Sprüngen geäderte Wanne, und das Wasser begann langsam und heiß an den Beinen hochzusteigen. Hinter den dünnen, immer feuchten Holzwänden hörten wir Stimmen, Wasserplätschern und hallendes Kindergelächter oder Herrn Glunts nasale Stimme, die sich regelmäßig überschlug. In seinem grauen Kittel saß er an der Kasse, wenn er nicht gerade einen der spotzenden Öfen anheizte.
    Leni prustete laut, ließ die glitschige Seife aus ihrer Hand in hohem Bogen ins Wasser flutschen und rollte dabei mit den Augen, wenn in der Nachbarkabine jemand unter Wasser furzte und man das Blubbern der aufsteigenden Luft bis zu uns herüber hören konnte.
    Am Ende stiegen wir aus der trüben Seifenlauge, und Mutter rieb und rubbelte uns ab. Anschließend scheitelte und kämmte sie mir das nasse Haar mit Vaters gemasertem Plastikkamm, daß mir die Ohren glühten. Kamen wir hinaus in die kalte Winterluft, legte sich meine Hose kratzig um die Beine. Dann liefenwir frisch angezogen nach Hause, Leni trug die klammen Handtücher und ich die Aktentasche.
    Den Geruch von Seife, Haarwasser, Fürzen und modrigem Holz habe ich nie vergessen. Und wenn ich heute in der Umkleidekabine eines Schwimmbades stehe, und die Stimmen und Geräusche dringen durch die Kabinenwände, oder ich laufe durch eine Einkaufspassage, und der Regen prasselt seine eintönige Melodie auf das weitläufige Glasdach, dann ist mir, als sitze ich wieder unter dem großen Glasfenster der Badeanstalt, über das im Sommer das Licht wanderte und im Winter die Flocken in kleinen Kreisen wirbelten.
    Nun waren wir in dieser Pension, und ich war es, der meine ältere Schwester wusch und dabei Angst um sie hatte. Da, wo damals beim Baden der Schlitz zwischen ihren kurzen Beinen mein Interesse auf sich gezogen hatte, kräuselte sich jetzt schwarzes, struppiges Schamhaar. Immer wieder tupfte ich ihr das glänzende Gesicht mit dem nassen Handtuch ab, unruhig warf sie sich hin und her, zitterte am ganzen Leib, daß ihre knochigen Knie ein paarmal dumpf gegeneinanderschlugen. Wie selbstverständlich ließ sie jetzt meine Berührungen geschehen. Draußen war es inzwischen Nacht. Die hellrote Leuchtanzeige des

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