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Tod eines Eisvogels - Roman

Tod eines Eisvogels - Roman

Titel: Tod eines Eisvogels - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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ihrer Nase funkelnd in der Sonne schaukelte. Und immer muß ich, wenn es irgendwo nach reinem Alkohol riecht, in einer Apotheke oder im Behandlungszimmer eines Arztes, an das Chloroform denken, das wir den ins Netz gegangenen Faltern durch den Gazestoff auf die Fühler träufelten, und wie ihr Geflatter bald schwächer wurde.
    Wie oft saßen wir vor einem von Mutters ausrangierten Einmachgläsern, um einer Schwalbenschwanzraupedabei zuzusehen, wie sie sich, festgeklebt an einem vertrockneten Möhrenstengel, von einem einzigen dünnen Faden umschlossen verpuppte, oder der dicken Raupe eines Kleinen Nachtpfauenauges, die sich in stundenlanger Arbeit ihre Reuse spann.
    Leni teilte meine Freude an den wunderbaren Fliegern und Seglern sofort, nie wurde ihr langweilig, wenn sich eine Raupenhäutung lange hinzog; kein Streifzug durch die nahen Wälder mit ihren Lichtungen und kleinen Schonungen war ihr zu weit.
    Als sie in dem Amsterdamer Laden die Drucke mit den ausländischen Faltern entdeckte und mir freudig zeigte, da liebte ich sie ebenso heftig wie früher, als wir die Beute eines erfolgreichen Nachmittags nach Hause trugen und uns wie Sieger fühlten.

ELF
    Mittlerweile waren wir nahezu pleite. Zimmerrechnungen, Benzin, Essen und die vielen Getränke hatten mein Geld fast aufgebraucht. Nur noch wenige Schecks und ein bißchen Bargeld waren uns geblieben – zuviel, um sich geschlagen zu geben, zuwenig, um neu zu planen. Wir mußten kürzertreten, soviel war klar, vor allem aber uns bald etwas einfallen lassen.
    Ein paarmal hatte ich sie zum Umkehren überreden wollen, doch nun konnte ich mir selbst kaum noch vorstellen, wie es wäre, den Schildern Richtung Arnheim zu folgen und einfach zurück nach Hause zu fahren.
    Obendrein hatte der Motor des Datsun kleinere Aussetzer, was uns mehrfach zwang, anzuhalten. Die dauernde Hitze hatte den Wagen aufgeheizt, und die Nadel der Temperaturanzeige kletterte in den roten Bereich.
    Auf einer Raststätte kurz vor Rotterdam kauftenwir ein paar Flaschen Wasser. Leni ließ es sich übers Gesicht und in den Nacken laufen, rieb sich schwerfällig die Unterarme damit ab. Sie wirkte müder und schwächer als an den Tagen zuvor. Und sie hatte aufgehört, mit mir zu streiten. Längst ertrug sie alles scheinbar teilnahmslos. Ihre Stirn war heiß, als ich meine Hand darauf legte.
    Ich begann mich unter den unausgesetzten Blicken zweier junger Frauen für unser heruntergekommenes Äußeres zu schämen. Eis essend und an ihren verdecklosen Sportwagen gelehnt, ließen sie mich ihre Mißbilligung spüren. Da glaubte ich den alten Berber zu verstehen, der bei Wind und Wetter sein Fahrrad mit den zahllosen, kunstvoll daran befestigten prallgefüllten Plastiktüten unbeeindruckt durch unser Viertel schob. Alle Tage lief er sein Revier in der ihm vertrauten Reihenfolge ab, so als gehorche er einer höheren Fügung, einer Pflicht oder unbedingten Dienstanweisung; ein dahinschlurfender, alle Zeit der Welt besitzender, kleinlauter, aber aufrechter Büßer, der Platte schob und dumme Kommentare provozierte.
    Wiederholt blieb er stehen, um mich durch die kleine Scheibe meines Ladens zu beäugen. Dabei riß er mit der ganzen Kraft seines ausgemergelten Körpers das nach vorne rollende Rad an sich, wobei er seine schmale Unterlippe hochzog, als könne er damit dem Rucken der Fliehkraft trotzen.
    Über Monate hinweg habe ich ihn beobachtet, sein herrenloses Fahrrad gegen eine Wand oder einen Vorgartenzaun gelehnt gesehen, bis er hinter irgendeiner Ecke hervorkam und mit seinem kranken Fuß im immer offenen Stiefel in meine Richtung lief. Alle Tage trug er einen speckigen, blauen Anorak, in dem er aussah wie ein sich dem Wind entgegenstemmender, O-beiniger Don Quichotte. Seine Ungebundenheit gefiel mir, sein bisweilen zufrieden wirkendes Zockeln durch die Straßenzüge. An Sommerabenden konnte man ihn, die Beine übereinandergeschlagen, auf den kniehohen Geländern der Parkbuchten sitzen und seinen Stummel paffen sehen.
    Das schlohweiße Haar, das er bis auf ein paar Fransen stets unter einer blauen, völlig verdreckten Pudelmütze verbarg, die hellen Augen, mit denen er mich anmusterte, die weißen Bartstoppeln und die Art und Weise, wie er die Augen zukniff, wenn er sich grüblerisch übers Kinn strich oder den Rauch seiner Zigarette inhalierte – in all dem erinnerte er mich von Anfang an so sehr an Onkel Viktor, daß ich mich für den Mann schämte, wenn Leute stehenblieben und ihm ein paar Münzen in

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