Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tod eines Eisvogels - Roman

Tod eines Eisvogels - Roman

Titel: Tod eines Eisvogels - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
Vom Netzwerk:
die Hand drückten. Dabei schien er das Geld nicht als Almosen zu betrachten, sondern wohl als eine Art Entschädigung, die ihm zustand. Jedesmal ließ er die Münzen so wortlos in seiner Anoraktasche verschwinden, wie er anschließend ungerührt davonging.
    Leni hätte ihn einfach stehengelassen, wenn er angefangen hätte, von seinen Kriegserlebnissen oder von seinem rechten, immer entzündeten Fuß zu erzählen, den er aus Verachtung für die Ärzte mit Ringelblumensalbe selbst behandelte. Sie hätte ihn nicht gemocht, so wie sie auch Onkel Viktor nie gemocht hat.
    Doch inzwischen sah sie in ihrer schmuddeligen, orangen Pumphose und dem ausgeleierten ESPANA-T-Shirt selbst wie ein unheimlicher Harlekin aus, mit ihrem hochroten Kopf und dem fettigen Haar. Ihr Gesicht hatte etwas Maskenhaftes angenommen. Und für einen Moment dachte ich mit Entsetzen, ihre fiebrig gespannte Haut könne sich von ihrem Gesicht schälen. »Es soll endlich regnen« hatte sie einmal zum offenen Fenster hinausgeschrien.
    Als sie immer kurzatmiger wurde, sich schwerfällig wand gegen die Enge in ihrer Brust, da ahnte ich, was auf mich zukommen würde.

ZWÖLF
    Immer häufiger schliefen wir im Datsun, an den dunklen Rückseiten der Tankstellen, neben schweren LKW, wo es aus den offenen Klos stank und in den überfüllten Abfallkörben das Obst in der nächtlichen Wärme faulte.
    Meist trank ich vorher auf den Rasthöfen einige Gläser Amstel, um mich müde zu machen und in jenen Zustand der Schwere zu versetzen, der einen alles vergessen läßt. Nach drei Nächten tat mir alles weh. Weckten uns in der Frühe vorbeidonnernde Lastwagen, hielt ich den Kopf in die noch leicht dunstige Morgensonne.
    Es war Juli, und die auf den Rastplätzen von der Sonne silbrigbraun gebrannten Distelstauden, auf denen bunte Falter, meist Kleine Füchse oder Pfauenaugen, im Licht leuchteten, wirkten wie Plastikblumen, unecht, leblos, versengt. Schmutziggelbe Wolfsmilch, die um die Tische und Holzbänke wucherte, vertrocknete in der fiebrigen Dürre.
    Das Land duckte sich unter einem weiten Himmel, und die hellbraunen Kühe zogen auf den Wiesen wie Attrappen vorüber.
    Einmal gerieten wir in einen Stau. Ein großer Audi mit deutschem Kennzeichen hatte sich überschlagen und lag auf dem Dach, dunkel schlängelte sich seine Bremsspur über den gebleichten Asphalt. An der Seite hatte sich ein dunkelblauer Sportwagen bis an die Windschutzscheibe in die Leitplanke gefressen, und etwas weiter lagen auf der Standspur unter einer silbernen Plastikfolie zwei Tote, von denen man nur die Füße sah.
    Zwei Polizisten lotsten uns durch eine Gasse in der Mitte der Fahrbahn, während rechts von uns weitere Uniformierte das Sägemehl zusammenkehrten. Es war rot vom Blut. Aus einem Polizeiwagen krächzte ein Funkgerät, und am Rande der entgegenkommenden Fahrbahn standen Gaffer. Alles vibrierte in der Sonne, und in der Nase brannte der Geruch von ausgelaufenem Benzin. Leni schien kaum etwas mitzubekommen. Apathisch lag sie in ihrem Sitz, und auf ihrer Oberlippe sammelten sich kleine Schweißperlen. Dann waren wir aus dem Stau heraus.
    Ich schwöre, zu diesem Zeitpunkt war ich fest entschlossen, sie ins Krankenhaus zu fahren. Den Anblick der Toten vor Augen, habe ich sie am Ende geradezu bedrängt, mich gewähren zu lassen, doch mit der letzten, ihr verbliebenen Kraft hielt sie mich davon ab.
    Wir lebten nun hauptsächlich von haltbarer Milch, trockenem Toastbrot, auf das wir Erdnußbutter strichen, und billiger Dauerwurst, von der ich in einem Supermarkt in Nordwijk einige Büchsen gekauft hatte.
    Eigentlich habe ich das ziellose Herumkurven immer gemocht; das Fahren mit offenen Fenstern durch weite Ebenen, vorbei an Feldern und über ausgetrocknete Flußbetten.
    Besonders aber mag ich es, in der Dunkelheit allein durch Ortschaften oder über leere Autobahnen zu fahren, wenn eine Tankstelle ihren Lichtschein in die Finsternis wirft und die Distanzen nur noch Zahlen auf blau aus der Schwärze auftauchenden Schildern sind, die kleiner werden und mir das Gefühl geben, aller Last des Tages zu entfliehen. Dann steuere ich meinen Wagen wie in Trance, und die Bilder vor meinen Augen fangen an, mir Streiche zu spielen.
    Nun aber zerrieb das gleißende Licht alle Phantasie zu winzigen Partikeln, die man mit jedem Atemzug unfreiwillig hinausblies. Alle meine einstigen Wünsche, alle Hoffnungen und Ziele rückten in weite Ferne, unerreichbar wie fremde Länder, die ich nie sehen würde. Und

Weitere Kostenlose Bücher