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Tod eines Eisvogels - Roman

Tod eines Eisvogels - Roman

Titel: Tod eines Eisvogels - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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als ich kurz zu Leni herübersah und sie in ihrem Sitz zurückgelehnt dalag wie eine Gipsfigur, die jeden Moment auseinanderbröckeln konnte, war mir, als müßte ich immer schneller fahren.

DREIZEHN
    Voorschoten, Delft, Numansdorp, Oude-Tonge – wir fuhren die Westküste herunter. Auf Lenis Lippen hatten sich weiße Fieberbläschen gebildet. Ihre Bronchitis war hartnäckiger als je zuvor.
    Die Felder lagen wie überdimensionale Schachbretter neben der Fahrbahn in der untergehenden Sonne. Am Himmel trieben kleine, hellbraune Wolken, und aus den Obstbäumen stiegen von Zeit zu Zeit Krähen auf, während uns der Datsun über die Landstraße trug und wir Kilometer um Kilometer weites, wie unberührt liegendes Land unter die Räder nahmen.
    Ich steuerte den Wagen nach der Überquerung des Grevelingendams Richtung Bruinisse noch eine Zeitlang über freies Gelände, bis wir zu einer kleinen Ortschaft kamen, an deren Eingang Leute im letzten Tageslicht in Gartencafés unter Sonnenschirmen saßen. Vor einem Kino lungerten Jugendliche. Aus einem Ghettoblaster kreischte Musik.
    Bei der Suche nach einem Zimmer erklärte mir eine Frau an der Tankstelle den Weg zu einer Pension namens »Oosterzand«.
    Als ich kurz darauf in dem kleinen Kreisel vor dem Hotel den Schlüssel aus dem Zündschloß zog, griff sich Leni das erste Mal an die Brust. Schwerfällig wuchtete sie sich aus dem Wagen, ihr Atem ging unruhig und die Nasenflügel blähten sich. Das T-Shirt klebte ihr am Körper, so daß man die Konturen ihrer Brüste sah. Ihre Haare hatten zu Beginn unserer Fahrt, wenn der Wind im offenen Seitenfenster mit ihnen spielte, sich wie Luftschlangen gedreht; jetzt, vom Schweiß der vergangenen Tage gesträhnt, sahen sie aus wie dunkle Stahlwolle, unecht und tot.
    Eingeklemmt zwischen zwei hellgrün angestrichenen Häusern, zwängte das schmale Pensionsgebäude seine weiße Stirnseite hervor. Hinter den gekippten Fenstern im ersten Stock klapperten die Jalousien. Das Knirschen unserer Schritte auf dem Kies schob sich schmerzhaft in mein Bewußtsein. Wie in blauen Flocken fiel die Dämmerung herab.
    Auf dem Dach eines kleinen Aussichtsturms, bis zur Hälfte verdeckt von der hellerleuchteten Tankstelle, blinkte deutlich sichtbar ein rotes Licht. Entlang der Promenade, die hinabführte zum Meer, standen in gleichmäßigen Abständen Laternen, in deren schwachen Lichtkegeln bereits die Motten tanzten.
    Im Innern der Pension roch es modrig-süß. Als wir vor ihr standen, griff sich die Wirtin nervös in die blonden, vollen Locken. Alles an ihr wirkte seltsam schief. Ihr Mund hing leicht nach links herab, und auch das linke, ungewöhnlich breite Lid sah aus, als hätte es alle Spannkraft verloren.
    Außer ihr stand nur noch ein breitschultriger Mann mit dem Rücken zu uns am Tresen, der uns keine Beachtung schenkte. Die Frau hatte Lenis Zustand sofort begriffen. Mit einem Zimmerschlüssel in der Hand nahm sie unsere Taschen und lief voraus. Ihre dicken Oberschenkel spannten unter dem Jeansstoff, und bei jedem Schritt klackerten ihre hochhackigen Absätze auf dem Steinboden. Unter einem der Tische saß ein fußgroßer Yorkshire-Terrier, in dessen zotteligem Pony ein Schleifchen steckte. Ich schleppte meine Schwester, die sich kaum noch auf den Beinen halten konnte, den engen Treppenaufgang hinauf. Behutsam legte ich sie auf das Bett. Ihr Gesicht hatte eine schimmernde Durchsichtigkeit angenommen. Alles an ihr klebte, und die Fieberbläschen hatten sich rasant vermehrt. Im Zimmer schien die Luft zu stehen, ich riß das Fenster auf.
    Mit einem feuchten Handtuch kühlte ich ihr Stirn und Schläfen. Ein zweites Handtuch wickelte ich ihr um die Waden. Wenn draußen ein Auto durch die Dunkelheit fuhr, drang sein Brummen ermutigend indie bedrückende Stille unseres Zimmers, doch das Fieber hatte von meiner Schwester Besitz ergriffen und trennte sie von allem.
    Leni sträubte sich schwach, widersetzte sich mit einem kurzen Versteifen meinen Händen, als ich ihr die nassen Sachen vom Leib zog. Dann half sie aber mit und hob ihr Becken leicht an, damit ich ihr die Hose über den Po und die hellbraunen Knie ziehen konnte. Ihre Unterhose war übersät von Urinflecken.
    Ich wusch ihren Körper mit lauwarmem Wasser ab. Ihr Schweißgeruch erinnerte mich an unsere Mutter. Kam ich im Hochsommer von der Schule nach Hause, saß sie hinter geschlossenen Läden, nur mit Unterhose und Büstenhalter bekleidet, leidend in unserer Küche, und es roch ranzig nach

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