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Tod eines Eisvogels - Roman

Tod eines Eisvogels - Roman

Titel: Tod eines Eisvogels - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Mutter bald meine Sachen in Lenis Zimmer räumte.
    Noch immer berührt es mich, wenn ich irgendwo einen dieser ausladenden Wagen mit den wunderbar geschwungenen Kotflügeln sehe. Meist kann ich nicht widerstehen und schaue nach, ob vielleicht irgendwo an der Scheibe ein Blatt Papier klebt, auf dem steht: »zu verkaufen«. Dann stocke ich, und ich gehe weiter.
    Viele tausend Kinderkilometer habe ich meinen hellblauen Volvo über Bordsteine, an Hauswänden entlang, über Tischplatten und über die Holzdielen unserer Wohnung gelenkt. Leni hat mir lange nicht verziehen, daß ich ihren Spielzeug-Volvo eines Tages aus ihrem Glasschränkchen nahm und einem größeren Jungen schenkte, damit er mich auf seinen Kindergeburtstag einlud. Über meinen Vorschlag, ihr als Ersatz dafür mein gelbes Shell-Fußballalbum von der 66er WM in England zu überlassen, hat sie nur höhnisch gegrinst. Und auch meine Briefmarkensammlung von Vater mit den alten Thurn-und-Taxis-Marken wollte sie nicht. Erst als ich bereit war, ihr meine Emma-Peel-Autogrammkarte zu schenken, die mir Tante Marylin, Mutters blonde amerikanische Stewardessenfreundin, einmal von einem Flug aus England mitgebracht hatte, gab sich Leni zufrieden.
    Leni war für alle nur meine ältere Schwester, doch wenn wir am Abendbrottisch saßen und unsere Beine sich verschwörerisch berührten, dann haben wir gespürt, was wirklich zwischen uns war.
    Als ich gemeinsam mit Manuel, der aus dem spanischen Vigo kam und gegenüber im Hinterhof wohnte, heimlich meine erste Zigarette hinter der alten Wellblechgarage rauchte und Leni dazukam, um auch einen Zug zu nehmen, da hatte ich, ich weiß nicht warum, das Verlangen, sie anzufassen, wie sie so dastand, im Halbschatten der Garage mit ihrem im Zwielicht glänzenden Haar.
    Später, als mir Onkel Viktor dann richtig das Rauchen beibrachte, war Leni schon fort. Ich habe ihr immer mal wieder ein Päckchen Rothändle zugesteckt, das ich mir heimlich aus Onkel Viktors gelber Flurkommode nahm. Bei unseren Besuchen schob ich es ihr, bevor wir hinunter in den Park gingen, unter die Bettdecke in dem kleinen Zimmer, in dem sich überall die Tapete ablöste.
    Onkel Viktor ist irgendwann bei uns eingezogen, in Antonias altes Zimmer. Er kam aus Wien, aufgewachsen aber war er im polnischen Sosnowitz. Noch viele Jahre lang hat er an Weihnachten Päckchen nach Polen auf die Post gebracht. Als Antwort kam einmal ein Bild seines längst erwachsenen Sohnes, eines steif vor einem alten Wagen stehenden Mannes, der nicht lächeln mochte und zu meiner Verwunderung genauso aussah wie Onkel Viktor, nur viel jünger und viel schmaler.
    Hatte einer der Erwachsenen Geburtstag und saßen alle im Wohnzimmer bei Eierlikör und Steinhäger umden großen Eßtisch – nur die flackernden Tischkerzen und das kleine Lichtchen des Plattenwechslers brannten –, dann spielte Onkel Viktor auf seiner Mandoline polnische Lieder, zu denen er sang. Er sang wie eine Frau, mit süßlich-säuselnder Kopfstimme, und wenn er die Lippen zusammenpreßte und die wasserblauen Augen zukniff, sah es aus, als weine er.
    Früher hat auch Vater dabeigesessen mit seinem zitternden Arm, den er mit seiner linken Hand herunterdrückte wie einen, den man zum Schweigen bringen will. Führte er, auf dem Höhepunkt seiner Krankheit, die glimmende Ernte 23 an den Mund, hielten alle die Luft an, bis ihm Mutter den Stummel wegnahm und im Aschenbecher ausdrückte.
    Er war schon von der Parkinsonschen Krankheit heimgesucht, aber was ihn langsam umbrachte, war sein Raucherbein. Er war in seiner fortgeschrittenen Gedankenverfinsterung von unten her weggefault bis auf einen stinkenden Vaterrest. Die Ruhr vernichtete am Ende das wenige, was noch von ihm übriggeblieben war.
    Später erzählte meine Mutter immer, was für ein großartiger Ruderer, was für ein sportlicher Typ Vater als junger Mann gewesen sei und wie gut er gemalt habe. Ich habe später Zeichnungen von ihm gefunden – Bleistiftzeichnungen von Dürers Mutter und Hindenburg. Mir erschien Vater immer dicklich und schwer.
    Als Antonia starb, war er für mich längst zu einer komischen Figur auf Schwarzweißbildern, die unsortiert in alten Pralinenschachteln lagen, geworden.
    Mit Onkel Viktors Einzug wurde vieles anders. Wir fuhren in Urlaub nach Jugoslawien oder in den Bayerischen Wald, im Winter nach Obersdorf und einmal zu Toni nach Norwegen.
    Obgleich er anschließend fast zwanzig Jahre blieb und für uns die Rolle des Vaters übernahm, hat

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