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Tod eines Eisvogels - Roman

Tod eines Eisvogels - Roman

Titel: Tod eines Eisvogels - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Margarine oder einen halben Kringel Fleischwurst.
    Nur zum täglichen Blutdruckmessen in ihrer Lieblingsapotheke verließ sie die Wohnung. Ihre Zahlenhörigkeit hatte sie mit Vater lange geteilt. Stoisch schien Mutter auf ihr Ende zu warten, für das sie aber noch nicht vorgesehen war, und sprach sie mit mir am Telefon, verstand ich sie bisweilen kaum, so leise hauchte sie die wenigen, immer gleichen Sätze in die Muschel.
    Dann liebte und haßte ich sie dafür, daß sie alt geworden war, daß ich sie eines Tages würde begraben müssen, ohne daß meine Fragen beantwortet wären. Ihr Verhältnis mit Onkel Viktor schweißte uns alle noch enger zusammen, so glaubten wir jedenfalls lange Zeit, tatsächlich aber hat es uns für immer getrennt und unserem Leben mit zwei Vätern etwas Undurchsichtiges, Possenhaftes verliehen.
    Am Ende hatte Mutter ihre Kittelschürzenexistenz beherzt gegen das Leben eingetauscht. Uns aber, ihre Kinder, wollte sie auf ihrem letzten Freigang nicht mehr als Begleiter.
    Wählte ich ihre Nummer im Stift, um zu hören,wie es ihr ging, redete sie wie eine, die gewillt war, endlich nur noch an sich zu denken. Dann sprach sie von ihren Rommé-Damen, von Plattenabenden und Gedächtnistraining. Erinnerte ich sie aber an ihr altes Leben, in dem wir noch immer ihre Kinder waren, wechselte sie entweder kurzerhand das Thema, oder aber sie hielt mir schroff ihre Angst entgegen, sich aufzuregen und am Abend nicht einschlafen zu können.
    Bevor ich Leni aus der Anstalt holte, hatte sie mich fast täglich im Laden angerufen. Ich spürte, daß sie nun ganz auf mich setzte. Auch während sie auf der Intensivstation lag, besuchte ich sie immer allein. Mutter war regelmäßig verhindert. Entweder erkundete sie gerade mit einer Busladung Gleichgesinnter die Wasserkuppe, oder sie spülte ihre immer seltener aufkommenden Zweifel und Ängste auf einer Ausflugsfahrt an der Seite ihrer fidelen Stiftsfreundin Frau Benedikt an den Rhein mit einem guten Glas Weißwein herunter.
    Ich habe mich ganz klein zu machen versucht, als ich damals in die Bienengasse einbog, in jenes Viertel und zu jenem Haus, in dem meine Kindheit als verwirrender Schwarzweißfilm vorübergeflimmert war: Schultüte, Blinddarmoperation und Maikäfersammeln, Onkel Viktors offene Beine.
    Ich wollte noch einige Sachen holen, bevor der städtische Container kommen würde; Bücher, alte Plakate, die ich bei meinem Auszug vor Jahren vergessenoder zurückgelassen hatte. Doch als ich dann durch die fast leeren Zimmer ging und die hellen Flecken an den Wänden sah, wo Bilder abgenommen und Schränke weggerückt worden waren, mußte ich schlucken, denn einen Augenblick lang war mir, als höre ich von fern Mutters dünnes Lachen, als atme ich die muffig-süßliche Pudrigkeit ihrer pelzigen Wangen, an die ich zuletzt immer seltener meine gedrückt hatte. Verabschiedeten wir uns, hielt sie sie mir jedesmal wie selbstverständlich hin; dabei hat Mutter körperliche Berührungen immer gescheut.
    Oft hat sie mich erschreckt, wenn sie am Frühstückstisch plötzlich aufsprang, weil sie Vaters Herumgeschleiche, seine Leisetreterei nicht mehr ertrug. Dann warf sie ihre Kittelschürze auf den Stuhl, zog sich mit der immer gleichen Drohung: »Ich nehme Gift und gehe ins Wasser!« den Mantel über, warf die Tür hinter sich zu und fuhr mit ihrem Fahrrad fort. Oder aber sie verschwand unter Tränen im Wohnzimmer, wo sie sich stundenlang einschloß, woraufhin Vater sich wieder ins Bett legte und der Kaffee in den Tassen trüb und schal wurde.
    Draußen liefen die Kirchgänger heim, ich stand in meinem Schlafanzug in der hellen Küche, und meine Fußsohlen klebten an dem eiskalten, wie ein Salamanderbauch gelb-braun gesprenkelten PVC-Boden. In den Ohren schwoll das Ticken der Wanduhr.
    Doch wenn ich tags darauf aus dem Kindergarten heimlief und es schon im Hof nach Mutters selbstgemachtem Kirschenmichel roch, wirkte ihr Zorn in meiner Erinnerung nur noch gespielt. Oben aus Meiers offenem Küchenfenster krächzte eine Ansagerstimme, und die Schnecken zogen ihre klebrigen Spuren über die Stufen der karminroten Steintreppe.
    Dann saß sie mit einer Zigarette zwischen den kurzen, dicken Fingern und friedlicher Miene an dem klobigen Küchentisch, vor sich eine Tasse Nescafé, und blies Wölkchen in die Luft. Mutter genehmigte sich ab und zu eine Schachtel Peter Stuyvesant, an der sie eine ganze Woche zu paffen hatte. Oder aber sie kritzelte Zahlenkolonnen in ihr Haushaltsbuch

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