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Tod eines Fremden

Titel: Tod eines Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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erstickte, hätte sie ihren Mann irgendwann als ihren Gefängniswärter empfunden und sich für ihre eigene Unehrlichkeit verachtet. Es war ihre Entscheidung, sie konnte niemand anderem die Schuld geben.
    Sie hatte es getan, hatte den Schritt ins Unbekannte getan, sich durchaus bewusst, dass sie Türen hinter sich schloss – was sie später womöglich bedauern würde –, die danach nicht wieder geöffnet werden konnten. Sie dachte nicht oft darüber nach, was sie aufgab, aber in mancher langen Nacht mit wenigen Patientinnen unterhielten sie und Hester sich freimütig, auch darüber, welchen Preis man für verschiedene Arten von Einsamkeit zahlte – die Einsamkeit, die auch von anderen wahrgenommen wurde, und die Einsamkeit, die hinter Ehe und Familie verborgen blieb. Jede Wahl barg ein Risiko, aber für Margaret war es, ebenso wie für Hester, unmöglich, sich mit Halbwahrheiten zu arrangieren.
    »Ich kann es nicht, auch um seinetwillen!«, hatte Margaret mit einem unsicheren Lachen gesagt. »Der arme Mann verdient etwas Besseres. Ich würde mich verachten, und ihn ebenfalls, weil er es zugelassen hat.« Dann hatte sie, wie jetzt, einen Eimer und Wasser geholt, um den Boden zu schrubben. Sie räumten zusammen auf, legten die nicht gebrauchten Verbände und Salben weg und schliefen dann abwechselnd ein wenig.
    Bis zum Morgen kamen noch zwei Frauen herein. Die erste musste mit zwei Stichen am Bein genäht werden, was Hester schnell und gekonnt erledigte. Die zweite fror und war wütend und hatte schlimme blaue Flecken. Ein Becher heißer Tee, wieder mit etwas Brandy und ein wenig Arnikatinktur versetzt, und sie fühlte sich bereit, in ihr Zimmer zurückzukehren und sich dem kommenden Tag zu stellen, den sie wahrscheinlich zum größten Teil verschlafen würde.
    Die Morgendämmerung war klar und recht mild. Gegen acht Uhr aß Hester gerade einen Toast und trank eine Tasse frischen Tee, als die Haustür aufging und ein Polizist in der Tür stand. Ohne zu fragen, trat er ein.
    »Mrs. Monk?« Sein Tonfall war streng und ein wenig scharf. Polizisten kamen nur selten ins Haus. Sie waren nicht willkommen, und das hatte man ihnen auch unmissverständlich gesagt. Sie respektierten weitgehend, was dort getan wurde, und wenn sie mit einer der Frauen sprechen wollten, waren sie zufrieden, zu warten und dies an einem anderen Ort zu tun. Was hatte ihn an diesem Morgen hierher geführt, und dann auch noch zu dieser frühen Stunde?
    Hester stellte ihren Becher weg und stand auf. »Ja?« Sie hatte ihn schon öfter draußen auf der Straße gesehen. »Was ist, Constable Hart?«
    Er schloss die Tür hinter sich und nahm seinen Helm ab. Im Licht sah sein Gesicht müde aus, nicht nur von einer schlaflosen Nacht im Dienst, sondern von einer unbestimmbaren inneren Erschöpfung. Etwas hatte ihn verletzt und aufgeschreckt.
    »Waren heute Nacht irgendwelche Frauen hier, die verprügelt oder böse geschlagen worden waren, vielleicht welche mit Schnittwunden?«, fragte er. Er warf einen Blick auf die Teekanne auf dem Tisch, schluckte und wandte sich wieder Hester zu.
    »Das ist in den meisten Nächten so«, erwiderte sie. »Stichwunden, Knochenbrüche, blaue Flecken, Krankheiten. Bei schlechtem Wetter haben die Frauen manchmal nur eine Erkältung. Sie wissen doch, wie es ist!«
    Er holte tief Luft, seufzte und fuhr sich mit der Hand durch sein schütteres Haar. »Ich spreche nicht von einer Rauferei, Mrs. Monk. Wenn ich nicht müsste, würde ich nicht fragen. Antworten Sie einfach.«
    »Möchten Sie eine Tasse Tee?« Sie versuchte, der Antwort einen Augenblick auszuweichen. »Oder Toast?«
    Er zögerte. Seine Erschöpfung stand ihm deutlich ins Gesicht geschrieben. »Ja … danke«, sagte er und setzte sich ihr gegenüber an den Tisch.
    Hester griff nach der Teekanne und schenkte einen zweiten Becher ein. »Toast?«
    Er nickte.
    »Marmelade?«, fragte sie ihn.
    Sein Blick fuhr über den Tisch. Seine Miene entspannte sich zu einem kläglichen Lächeln. »Schwarze Johannisbeeren!«, stellte er mit weicher Stimme fest.
    »Möchten Sie davon?« Eine rhetorische Frage, die Antwort war offensichtlich. Margaret schlief noch, und Toast zu machen gab Hester ein wenig mehr Zeit zum Nachdenken, also war sie ganz froh darüber.
    Sie kam mit zwei Scheiben zurück an den Tisch und bestrich eine für sich selbst mit Butter und eine für ihn, dann schob sie ihm die Marmelade hinüber. Er nahm einen großzügigen Teelöffel voll, verteilte ihn auf dem Toast und

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