Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tod Eines Kritikers

Tod Eines Kritikers

Titel: Tod Eines Kritikers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
Vom Netzwerk:
Bedürfnis gewachsen, aus meinem Namen auszuwandern wie aus einer verwüsteten Stadt. Auch gefiel mir Michael Landolf immer besser. Julia Pelz hatte das alles nicht gelten lassen können. Sie werde mich zurückführen zum eigenen Namen, hatte sie gesagt und hatte ihre Porzellanfinger mit der siebten, der abwärts weisenden goldenen Zacke ihres Sterns im Meditationskreis spielen lassen. Vor allem: keine Entscheidung jetzt. Nichts als fort jetzt. Es gibt gegen Katastrophen keine wirksamere Hilfe als Distanz, hatte sie gesagt.
    Als das Asphaltband auf einen Hügel bog, der mit Villen besetzt war, sagte sie: Da!
    Sie meinte offensichtlich die Fahnen, die über den hohen Umfassungsmauern dieser Villen flatterten. Firmenfahnen wahrscheinlich, Langnese, Oetker, Bahlsen, Reemtsma vielleicht, sogar eine Reichkriegsflagge des ersten Weltkriegs flatterte mit, aber auch die sanftere dreifarbige Kanarenflagge, zum Glück.
    Daß um die PILGRIM Villa keine Fahnen wehten, tat mir gut. Andererseits begriff ich, daß dieser ungestüme Fuerteventurawind zum Flaggenhissen verführen kann. Wenn du dich deinem Namen wieder nähern kannst, dann hier, dachte ich. Laß dir eine Hans Lach-Fahne drucken, hisse sie, den Rest besorgt der deine Fahne blähende Fuerteventurawind. Michael Landolf, ich danke dir dafür, daß du mir Unterschlupf gewährt hast. Und ziehe aus. Scheinbewegungen sind das. Erzähler und Ezählter sind eins. Sowieso und immer. Und wenn der eine sich vermummen muß, um sagen zu können, wie der andere sich schämt, dann ist das nichts als das gewöhnliche Ermöglichungstheater, dessen jede menschliche Äußerung bedarf. Glaube ich. Wer auch immer das sei.
    Die in die hohe Umfassungsmauer eingelassene Garagentür war per Fernsteuerung aufgegangen; sobald wir die Garage zum Hof hin verließen, standen wir auf Fliesen; ein gefliester Weg bog sich zum Haus hinauf. Die Haustüre ein Tor wie zu einem Tempel, zu einer Moschee vielleicht, die Fliesen waren ja auch arabesk, und Bernardo kam mir jetzt, als er mit unserem Gepäck vor uns herging, nicht mehr wie ein Spanier vor, sondern wie ein Araber. Julia sprach Spanisch mit ihm, ich konnte mich ihm, solange ich im Spanischen noch ganz unbeholfen war, auch deutsch verständlich machen. Er war Koch, Kellner, Hausmeister, Gärtner und Chauffeur, und in allem gleich gut. Aber seine Freundlichkeitsbegabung war noch größer als alle anderen Begabungen, über die er, als wüßte er nichts von ihnen, traumhaft oder träumerisch verfügte. Vielleicht sollte ich sagen: meditativ verfügte. Er wirkte, obwohl er alles besorgte, nie aktivistisch, dienerisch, sondern eben meditativ. Selbst wenn er das Essen servierte, schien es, als sei er ganz und gar nur bei sich, und seine Hände täten, was sie taten, von selbst.
    Julia sah, daß ich staunte. Als Benardo draußen war, sagte sie: Als Ludwig das Haus kaufte, gehörte Bernardo dazu. Ludwig hat ihm dann eine Karriere ermöglicht. Hat ihn lernen lassen, heiraten lassen, hat ihn gefördert, daß er ein Häuschen bauen konnte, er beherrscht ja auch alle dazu nötigen Handwerke.
    Da ich in den ersten Wochen täglich Spanisch lernte – täglich kam Sunhilda Sánchez nachmittags um vier ins Haus – konnte ich Bernardo meine Bewunderung bald genauer wissen lassen. Ich hatte allerdings das Gefühl, daß ihn, was ich herausbrachte, nicht beeindruckte. Bernardo zeigte mir meine Zimmer. Nach Osten hinaus, aufs Meer. Ein Balkon, so breit wie beide Zimmer. Aber bevor der Blick das Meer erreichte, brachte er noch die Oleander- und Ginster- und Mimosenbüsche hinter sich, die hier ja eher Bäume waren als Büsche. Die Möbel zwischen den weißen Wänden meiner Zimmer waren alle aus dunklem Holz. Das Bad so orientalisch gefliest wie der Hof, wie der Weg hinauf zum Haus. Ich fragte Julia, wie lange ich auf der Insel bleiben könne. So lange Sie können, sagte sie. Sind wir ein phantastisches Paar? fragte ich sie.
    Sie schlug vor, daß wir, auch wenn wir mit einander in einem Bett lägen, danach wieder Sie sagten zu einander.
Oder ad libitum, sagte ich.
Einverstanden, sagte sie.
    Daran mußte ich mich gewöhnen: sie mußte mit allem, damit es geschehen konnte,
    einverstanden sein und das gesagt haben, daß sie einverstanden sei. Unverabredet durfte nichts geschehen. Darauf wies ich sie hin. Sie sagte: Na und!
    Ich verbrachte viel Zeit im Freien. Auf meinem Balkon. Mit Meerblick. Manchmal will das Meer nicht wissen, wo es aufhört und wo der Himmel beginnt.

Weitere Kostenlose Bücher