Tod eines Maechtigen
verlassen. Unter Glassturzen flackerten hie und da Kerzen, die schon am Tage angesteckt worden waren, weil es gläubigen Juden am Shabbat verboten war, Feuer zu entzünden als auch zu löschen. Ihr wabernder Schein verwob sich zu etwas wie rotgoldenem Nebel, der die Gestalten der Gläubigen, die den Shabbat hier am Fuße des Tempelbergs zelebrierten, zu geheimnisvollen Schemen schmolz.
In einiger Entfernung erkannte Gershom Chaim, was sein Freund ihm zeigen wollte: Ein gutes Dutzend Männer hatte sich zu einem fröhlichen Rundtanz zusammengetan, und in ihrer Mitte sah er einen Jungen von schmaler Statur, aber schon jetzt großgewachsen wie sein Vater.
»Avraham, hm?« fragte Gershom.
»Ja«, nickte Itzhak. »Wir feiern seine Bar-mitzvah. Und du als Freund unserer Familie solltest mit uns feiern! Deshalb bin ich hergekommen. Immerhin war auch ich dabei, als dein David im vorigen Jahr -«
Die Erwähnung seines Sohnes und die Erinnerung an dessen Bar-mitzvah versetzte Gershom Chaim einen schmerzhaften Stich. Vor nicht ganz einem Jahr hatte der Junge seinen dreizehnten Geburtstag feiern dürfen, und der Tradition gemäß war er am darauffolgenden Shabbat ebenso feierlich wie festlich in die religiöse Gemeinschaft der erwachsenen Männer aufgenommen worden - - inzwischen aber war David auf ganz andere Weise noch zum Manne geworden ... gemacht worden! Auf eine Art, geradezu abartig unrein, die Gershom Chaim dem Sohn seines schlimmsten Feindes nicht wünschte. Hätte der brave Mann einen solchen Feind gehabt ...
Er kniff die Lider zu, so fest und lange, bis blutige Röte hinter den dünnen Häuten flimmerte, doch das Bild, dessen Zeuge er vor gerade erst drei Tagen geworden war, wollte sich nicht vertreiben lassen. Er sah es auf eine Weise, die der Augen nicht bedurfte, die nur seinen Geist benutzte (mißbrauchte!).
Wieder legte sich Itzhak Harevens Hand auf seine Schulter.
»Was ist mit dir?« Sein Ton klang nun fast schon alarmiert.
Gershom wich einen Schritt zurück, so daß Itzhaks Hand von ihm abfiel.
»Nichts«, sagte er. Barsch sollte es klingen, gequält klang es.
So leicht jedoch ließ Harevens Sorge um den Freund sich nicht besänftigen.
»Gershom«, sagte er ruhig, »komm mit mir. Unsere Feier wird dich auf andere Gedanken bringen, ganz gleich, was dich bedrückt.«
»Mir ist heute nicht nach Feiern zumute«, erklärte Gershom. »Ich muß . nach Hause.«
»Ist denn zu Hause alles in Ordnung?« fragte Itzhak weiter. Dabei sah er suchend entlang des Kothels, bis hin zu der Schirmwand, die den Gebetsbereich der Männer von dem der Frauen trennte. »Ich sehe David nirgends, und auch Rebecca scheint nicht hier zu sein.«
»Es . es geht ihnen nicht gut«, wand sich Gershom Chaim. Das war gelogen, und doch auch nicht; es war unter- und übertrieben in einem. Mit leerem Blick stierte er an seinem Freund vorbei, und er wünschte sich, ins Nichts starren zu können. Statt dessen aber sah er, wohin er die Augen auch richtete, stets, was in seinem Hause vorging, seit .
»Ist deine Familie krank?« wollte Itzhak Hareven wissen, und sogleich wuchs die Sorge in seiner Stimme. »Kann ich irgend etwas -?«
»Nein, laß gut sein, Itzhak. Du kannst nicht helfen. Es wird schon alles ... wieder gut werden.«
Wie von selbst suchte Gershom Chaims Blick dabei jene Stelle des
Köthels, an der er sein Gebetspapier in eine der Ritzen gesteckt hatte. Es war unmöglich, daß er es fand inmitten der unzähligen anderen Zettel - und doch tat er es; oder glaubte es zumindest. Ihm schien, als sei sein Zettel ... weißer als all die anderen, fast so, als leuchte er -wie das berühmte Licht am Ende des Tunnels ...
»Ich muß gehen«, sagte er leise. Und ging, ohne jedes weitere Wort.
Von der Westmauer bis zum Hause Gershom Chaims waren es zehn Minuten Fußwegs, fünfzehn, wenn man sich Zeit ließ - - und doch fand er sich nach einer knappen Stunde nicht etwa dort wieder, sondern - und ohne sich der verstrichenen Zeit oder der unbewußten Weigerung, auf direktem Wege heimzugehen, gewahr zu sein - am so geheißenen Jaffa-Tor in der alten Stadtmauer Jerusalems.
Dort, wo das Unheil seinen Lauf genommen hatte .
*
... vor einigen Tagen.
Blutnebel hatte an jenem Morgen über Jerusalem gelegen, als Vater und Sohn das Haus verließen.
Blutnebel - davon sprachen die Alten, wenn von fern herziehende Stürme in Jerusalem Station machten und roten Wüstensand, den sie mitbrachten, über der Stadt abluden. In Schwaden trieb er dann
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