Tod Eines Mäzens
gelesen hatte.«
Ich wandte mich an Helena, die nach wie vor geduldig nicht weit von mir stand. »Was ist mit dem Manuskript? Obwohl es dir nicht gefallen hat, Helena Justina, hast du doch das meiste davon gelesen. Was für ein Mensch hat es deiner Ansicht nach geschrieben?«
Helena überlegte und sagte dann langsam: »Ein Leser. Jemand, der viele ähnliche Romane verschlungen hat, ohne wirklich in sich aufzunehmen, was sie packend macht. Das Ganze ist eine zu starke Nachahmung; die Zutaten sind ziemlich klischeehaft, und es mangelt an Originalität. Es stammt von jemandem, der ungeübt ist, aber viel Zeit zum Schreiben hat. Ich kann mir vorstellen, dass es dem Autor sehr viel bedeutete.«
Meine nächste Frage richtete ich wieder an Blitis. »Als Zisimilla und Magarone in Ihrer Schriftstellergruppe diskutiert wurde, gab es unvorteilhafte Bemerkungen. Wie hat der Autor reagiert?«
»Er weigerte sich, zuzuhören. Unsere Bemerkungen waren wohlmeinende Diskussionspunkte. Er bekam einen Wutanfall und stürmte hinaus.«
»Ist das üblich?«
»Es ist schon vorgekommen«, räumte Blitis ein.
»Mit der gleichen Heftigkeit?«
»Meiner Erfahrung nach nicht.«
Ich fragte Helena: »Würde das zu deiner Einschätzung passen?«
Sie nickte. »Ich kann mir vorstellen, Marcus Didius, wie Chrysippus hier mit dem Verfasser von Zisimilla und Magarone zusammentraf, der offensichtlich ein heißes Verlangen hatte, veröffentlicht zu werden. Chrysippus erklärte – vielleicht nicht gerade taktvoll –, dass die Arbeit unannehmbar war, obwohl von einem erfolgreichen und bekannten Bearbeiter Anstrengungen unternommen worden waren, das Manuskript zu verbessern. Der Autor wurde wütend und vermutlich hysterisch; die Sache eskalierte, der Schriftrollenstab kam ins Spiel, und Aurelius Chrysippus wurde ermordet.«
»Wir wissen, dass der Mörder danach weiter wütete, Tinte und Öl verschüttete und diverse Schriftrollen durch den Raum schleuderte.«
»Ich denke, dass er dabei die Titelseiten von den Rollen gerissen hat«, sagte Helena.
»Von mehr als einer?«
»Ja«, erwiderte sie sanft und machte eine bedeutsame Pause. »Es gibt noch eine zweite Geschichte, Marcus Didius. Eine von bester Qualität. Sowohl Passus als auch ich haben sie enorm genossen. Ich könnte mir vorstellen, wenn Chrysippus diese zweite Rolle gelesen hat, gab es für ihn keinen Zweifel, welche er nehmen würde.«
Euschemon richtete sich interessiert auf. Am liebsten hätte er Helena wohl sofort über diese verlockende Verkaufsaussicht ausgequetscht.
»Hat Chrysippus dem enttäuschten Autor möglicherweise erzählt, dass ihm ein anderer die Schau gestohlen hatte?«
»Wenn Chrysippus ein unfreundlicher Mensch war«, meinte Helena.
»Und das hätte die Enttäuschung des Abgewiesenen noch verstärkt?«
»Sein Schmerz und seine Frustration müssen enorm gewesen sein.«
»Vielen Dank.«
Helena setzte sich und legte schützend die Hand über den Schriftrollenstapel neben ihr, in dem sich, wie wir jetzt wussten, ein potenzieller Verkaufsschlager verbarg.
Ich holte Blitis und brachte ihn zu Philomelus. Dabei achtete ich sorgfältig darauf, mich so zu stellen, dass ich eingreifen konnte, falls es Ärger gab. »Kennen Sie diesen jungen Mann?«
»Ich bin ihm begegnet«, sagte Blitis.
»Bei Ihrer Gruppe im Tempel?«
»Dort habe ich ihn einmal gesehen.«
»Danke. Setzen Sie sich bitte wieder zu den Vigiles.« Ich führte Blitis selbst zurück. Ich rechnete nicht mit Schwierigkeiten, blieb aber auf der Hut.
»Philomelus.« Der Kellner saß starr da. »Sie sind ein freundlicher junger Mann, der hart arbeitet, um seinen Traum zu verwirklichen. Sie stammen aus einer guten Familie, haben einen liebevollen Vater, der Sie unterstützt. Er glaubt an Sie, obwohl Sie sich von dem Familienunternehmen abgewandt haben und einen äußerst ungewissen Beruf anstreben. Ohne Ihr Wissen hat Ihr Vater sogar versucht, Chrysippus in Ihrem Sinne zu beeinflussen. Pisarchus wäre bereit gewesen, für die Veröffentlichung Ihres Werkes zu bezahlen, wusste jedoch, dass Sie das unerträglich gefunden hätten. Ihr Vater betrachtet Sie als einen aufrechten Menschen, während ich nun mit der gegenteiligen Ansicht konfrontiert bin. Sie sind ein Möchtegernautor von Abenteuergeschichten und waren noch kurz vor Chrysippus’ Tod bei ihm. Sie geben zu, dass Sie wütend wurden und ihn bedroht haben. Anscheinend bleibt mir nichts anderes übrig, als Sie für den Mord an ihm zu
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