Tod eines Träumers (Vera-Lichte-Krimi) (German Edition)
junger Mann vor seinem Tod noch gequält wurde.«
»Ich habe es gelesen«, sagte Pit.
»Im Genitalbereich.«
»Ich habe es gelesen, Jan.«
»Ihr hattet doch mal einen Ritualmörder.«
»Das war anders«, sagte Pit. Tote Frauen, denen kaum zu erkennende Buchstaben in die Kehle geritzt worden waren. Hatte er Schlimmeres erlebt?
Pit freute sich ehrlich, als das Telefon klingelte. Er hatte keine Lust, dieses Gespräch mit Kummer länger zu führen.
Er freute sich noch mehr, als er Nicks Stimme erkannte.
»Vielleicht kommst du mal wieder zum Essen vorbei«, sagte Nick. Doch das war nur ein einleitender Satz. »Hast du was über diesen U-Bahnschubser?«
»Ich habe eine kopflose Leiche«, sagte Pit, »und ein kleines Skelett, das vielleicht einem vermissten Kind gehört. Einen U-Bahnschubser kann ich dir leider nicht bieten.«
»Ist in der Zeitung auch ziemlich heruntergespielt worden«, sagte Nick. »Tut mir Leid, dass ich dich störe. Ich würde dich wirklich gern zum Essen einladen.«
»Sprichst du von dem Vorfall am Rathaus?«
»Ja«, sagte Nick.
»Da gibt es Zweifel, ob die junge Dame gestoßen wurde. Die konnte sich kaum auf ihren Schuhen halten. An den Absätzen hättest du Schaschlik braten können.«
»Wer isst heute noch Schaschlik.«
»Stimmt«, sagte Pit, »gibt nur noch Dönerbuden.«
»Ich mach dir einen serbischen Abend«, sagte Nick, »heute?«
Pit sah seinem Kollegen nach, der aus dem Zimmer ging.
»Ich bringe eine Flasche Slivowitz mit«, sagte er.
»Haben du und ich tatsächlich schon gelebt, als all die jugoslawischen Lokale aus dem Boden sprossen?«
»Ich fühle mich, als sei ich bei der Erfindung des Rades dabei gewesen«, sagte Pit Gernhardt.
Dabei fing er bereits an, sich besser zu fühlen.
Allein die Aussicht, mit Nick am Küchentisch zu sitzen und sich vieles von der Seele zu quatschen, half.
Vera ging er lieber aus dem Wege.
»Nur wir zwei«, sagte er.
»Nur wir zwei«, sagte Nick.
Der vierte Tag, an dem er vor der verschlossenen Eichentür stand. Die Etage war still, als lägen sie alle tot hinter ihren Türen. Der Herr mit der Assekuranz von gegenüber. Die Dame, die er gelegentlich aus dessen Tür hatte kommen sehen.
Der Herr Notar.
An diesem vierten Tag hatte sich Gerry getraut, zu einer anderen Uhrzeit zu kommen. Halb vier, als er durch das Scherengitter trat, die Haustür dahinter aufdrückte und die Treppen hochstieg. Er hörte dem Scheppern der Klingel zu und entschied sich zu gehen und nicht zurückzukommen. Die Arbeit bei dem Herrn Notar hatte ihre Nachteile gehabt.
Warum sollte er ihr noch länger hinterherlaufen.
Vielleicht ließe sich von den Auftritten leben.
Heute Abend würde er das Kleid anziehen. Nebelstreif mit Glitzertau. Überall ist Wunderland. Der Wirt war nicht dumm. Er sah, dass nun Gäste kamen, die Gerry zuhörten, keine Zoten wollten und nicht nur ein kleines Helles tranken.
Vielleicht ließe sich ein schöneres größeres Lokal auftun.
Die Nachtvögel dieser Stadt hatten schon öfter einen, der aus dem Keller kam, zum König gekürt. Zur Königin.
Der Kiez zog sie an. Die Künstler. Die Kaufleute.
Er kam nicht aus dem Keller. Seine Großmutter würde zu weinen anfangen, könnte sie seine Gedanken lesen.
Hatte sie sich nicht durch ihr ganzes Leben gescheuert, die Fußböden, das Klo, die Seele? Blitzblank.
Die Frau, die an dem Scherengitter herumputzte, sah ihn an, als habe er etwas zu tun mit den drei Toten, die da oben hinter den Türen lagen. Er lachte. Nur ein Scherz, sagte er laut. Die Frau, die seine Gedanken so wenig lesen konnte wie seine Großmutter das tat, schüttelte den Kopf.
Was wollte er sein? König oder Königin?
Gerry blieb vor dem Haus stehen und schaute in den Himmel. Fröstelte er auf einmal, weil die Wolken nicht mehr weiß waren, sondern grau? Das Wetter umschlug?
Gerry legte den Kopf in den Nacken und schaute. Da oben stand der Herr Notar am Fenster und sah zu Gerry hinunter und schien sich nicht einmal zu schämen.
»Annilein, ich habe Halluzinationen«, sagte Vera.
»Glaube ich dir aufs Wort. Was sind denn das für Kerzen? Riecht ja, als sei man kopfüber in den Kuchenteig gefallen.«
»Ist dir das schon oft passiert?«
»Was?«, fragte Anni.
»Kopfüber in den Kuchenteig.«
Anni machte eine typische Handbewegung. Nebbich-Geste, hatte Veras Vater das genannt, wenn Anni abwinkte.
»Die habe ich in dem afrikanischen Laden gekauft.«
»Viel zu süß«, entschied Anni.
»Ich spreche von ganz
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