Tod im Albtal
Nordschwarzwaldhügel, vorbei an dem am Berg klebenden Dorf Loffenau, hinüber nach Gernsbach ins wildromantische Murgtal. Von dort ging es weiter in die schicke Kurstadt Baden-Baden. Oberhalb der Altstadt gab es eine teure und ziemlich dekadente Privatschule voller abgeschobener reicher Scheidungskinder, und dort bekam ich den ersten Vorgeschmack auf das gute Leben. Ich lernte sehr schnell, wie sich die Upperclass benahm und was sie sich leisten konnte, und es gefiel mir ausnehmend gut.
Ich wollte genießen, was es zu kaufen gab, und zwar bald und möglichst lebenslänglich.
Hinzu kam, dass ich mit meinem schwedisch blonden Haar, der nussbraunen italienischen Haut und den leuchtend blauen Augen sehr hübsch aussah. Die gesamteuropäischen Gene meiner Eltern hatten offenbar Walzer miteinander getanzt, sich dann erschöpft niedergelassen und beschlossen, das Beste aus dem zu machen, was da aus Liebe entstanden war. Ich hatte wirklich Glück gehabt, und da ich das wohlproportionierte Gesamtkunstwerk richtig zu dekorieren und in Szene zu setzen wusste, konnte ich mich bald vor Anträgen nicht retten.
Meine Güte, das war jetzt zwanzig Jahre her. Damals dachten manche Frauen eben noch, eine reiche Ehefrau wäre automatisch auch eine glückliche Ehefrau. Ich war jedenfalls davon überzeugt.
Auf einer Dinnerparty im Hause eines Baden-Badener Industriellen lernte ich Dr. Nicolaus Tobler kennen und sah sofort, dass er mir genau die Art von Leben bieten würde, die ich für mich ausgesucht hatte: als allseits geschätzte Dame der Gesellschaft, die im Luxus, aber nicht spießig lebte und alles genoss, was es so gab. Nette Sportarten wie Reiten, Tennis, Segeln und Golf. Boot und Pferd. Schicke Urlaube. Schönes Haus in harmonischer Umgebung, am besten in der begehrtesten Wohnlage Ettlingens und des Karlsruher Umlandes, die den treffenden Namen Vogelsang trug und einen atemberaubenden Blick über die Rheinebene bis ins Elsass und die Pfalz bot. Ausflüge ins nahe Heidelberg, nach Straßburg oder die Spielbank in Baden-Baden. Ein Abonnement im Karlsruher Staatstheater. Mehrere Ferienwohnungen. Und genau so kam es.
Ich gab die Rolle der neuen Königin in der kleinen Stadt und tauchte ein in eine komfortable Ehe und ein sorgenfreies Leben. Dass auch Leidenschaft und mehr als eine oberflächliche Zuneigung dazugehören sollten, um diesem Leben einen tieferen Sinn zu geben, schien mir damals nebensächlich.
Ein Fehler, wie sich herausstellte, denn genau daran mangelte es.
Anfangs war Nicolaus zwar von mir begeistert gewesen, er hatte es nicht erwarten können, die begehrteste Schönheit der Gegend als Hauptpreis und Trophäe zu gewinnen, doch das ließ nach der offiziellen Preisverleihung – sprich der Hochzeit – rapide nach. Er war nun Partner in einer großen Steuerkanzlei und leitete die Ettlinger Niederlassung. Ich, die nette junge Ehefrau, durfte das Haus einrichten, und später konnte ich vielleicht eine Galerie aufmachen oder so.
Es blieb beim »oder so«. Als ich unsere Tochter bekam, vergaß ich alle Karrierepläne und spielte perfektes Leben im perfekten Haus. In gewisser Weise tat ich das bis heute, und ich wusste, in zehn Jahren würde der Bridgeclub auf mich warten. Mit Anfang vierzig sah ich immer noch sehr gut aus. Mein Kleiderschrank war begehbar, genauer gesagt, man konnte sich problemlos darin verlaufen. Zweimal im Jahr versteigerte ich meine Handtaschen bei einem Ladies’ Lunch für einen guten Zweck. Die Einladungen dafür waren begehrt.
Mein Mann arbeitete so viel, dass er vermutlich keine Zeit und keine Energie hatte, mich zu betrügen. Und wenn? Es wäre peinlich gewesen, das ja. Aber es würde mich nicht ins Herz treffen, denn mit meinem Herzen hatte er nicht mehr viel zu tun. Dennoch war er kein schlechter Ehemann: großzügig, freundlich, zuvorkommend, aber – gleichgültig.
Bis zu jenem Abend im Juni des vergangenen Jahres hatte mich das nicht gestört. Bis zu jenem Abend war mein Leben so, wie ich es mir erträumt hatte. Und das war vermutlich der Abend gewesen, an dem begann, was jetzt zu der Toten in der Umkleidekabine geführt hatte …
Damals saß ich allein auf der Terrasse und blickte ins Tal, hinunter auf die romantische kleine Stadt mit ihren reizenden Brücken. Alles war wohlgeordnet in unserer Welt. Wäre der Berg nicht dazwischen gewesen, so hätte ich, wenn ich den Kopf drehte, das schicke Watthalden-Hotel mit seinem exklusiven Innenhof und den Lichtern des Restaurants
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