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Tod Im Anflug

Titel: Tod Im Anflug Kostenlos Bücher Online Lesen
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nicht so einfach machen. Wir müssen nach allen Seiten hin ermitteln. Nachher hängt vielleicht der falsche Vogel am Galgen. Davon abgesehen, bin ich nicht der Meinung, dass wir den Fall mit Palavern lösen. Ihr könnt ja so weitermachen, aber ich nicht. Mir schwebt da etwas anderes vor.«
    Tom sah ungläubiges Erstaunen in den Augen seiner Artgenossen. So forsch und selbstbewusst hatten sie ihn noch nie erlebt.
    »Ich werde auf eigene Faust ermitteln«, redete er rasch weiter, bevor ihn der Mut verließ und das Schnattern wieder einsetzen konnte. »Wer tatsächlich etwas tun will, kann sich mir gerne anschließen.«
    Noch während er so wacker daherredete, trug der Wind die Schläge einer Kirchturmuhr über den See. Unwillkürlich zählte er mit. Viertel vor sieben. Tom horchte auf. »Oh, so spät schon. Ich muss weg«, murmelte er.
    »Wie, du musst weg? Und was ist jetzt mit Neptunus?«, fragte Rio verwundert von seinem Ast herunter.
    »Später, Rio. Später.«
    »Versteh ich nicht«, monierte der Kormoran. »Wo willst du denn hin?«
    Tom breitete seine Schwingen aus und startete mit kräftigen Flügelschlägen. »Du würdest es mir doch nicht glauben, selbst wenn ich es dir sagen würde …« Und schon hatte er abgehoben.
    Denn es wurde höchste Zeit. Zeit für ein gepflegtes Abendessen. Und Zeit für eine weitere Lehrstunde in Sachen
kriminalistische Vorkenntnisse
.

2
    »Da bist du ja, mein kleiner Freund. Pünktlich auf die Minute. Wie immer.« Rentner Ede von Parzelle sechs strahlte über das ganze Gesicht. Vor seinem Wohnwagen stand auf einer penibel gemähten Rasenfläche ein alter, wackeliger Tisch samt Fernsehgerät. Zwei verstellbare Campingstühle mit zerschlissenen Kissen darauf versprachen ungetrübten Fernsehgenuss. Ähnlich ging es auf anderen Parzellen zu. Der Hunger brachte die Familien wieder zusammen. Geschirr und Besteck klapperten hier und dort, während Musik, Nachrichten oder der Duft von Gegrilltem in der Luft lagen.
    Bevor Ede sich niederließ, nahm er eine Flasche Bier und einige Scheiben Toastbrot vom Tisch. »Die teilen wir uns jetzt, Nili. Bist sicher wieder hungrig, was?« Da er Toms richtigen Namen ja nicht kennen konnte, hatte er ihm in Anlehnung an dessen Herkunft den Namen
Nili
gegeben.
    Während Nachrichtensprecherin Petra Gerster die ersten Meldungen verlas, hatte Tom bereits auf dem für ihn reservierten Stuhl Platz genommen und schnabulierte köstliches Brot. So eine Behandlung ließ er sich gefallen. Das Wichtigste vom Tage, serviert mit seiner Lieblingsspeise.
    Dieses Ritual hatte sich bereits im vergangenen Jahr so eingespielt und war mit Beginn der neuen Campingsaison zu einem festen Bestandteil im Tagesablauf von Ede und Tom geworden. Abends, pünktlich um sieben, gab es Nachrichten, garniert mit kleinen Weißbrothäppchen. Bier hätte er auch haben können. Ede hatte es ihm angeboten, doch Tom hatte nach einer Kostprobe dankend abgelehnt. Seine Vorliebe galt eindeutig dem Gänsewein.
    Fernsehen, das war Toms geheime Leidenschaft. Sein Interesse galt den Nachrichten aus aller Welt, genauso wie Mord und Todschlag – was oft genug beinahe ein und dasselbe war.
    Niemand der Gefiederten wusste von seiner Passion. Noch nicht einmal Rio. Rio hätte ihn für verrückt erklärt, wenn er das auch nur geahnt hätte. Und da auch Toms übrige Artgenossen nicht mit spitzen Kommentaren und mitleidigen Blicken sparen würden, hielt er sich in dieser Richtung sehr bedeckt.
    Erblickten ihn seine gefiederten Verwandten bei einem Flügellosen fernsehen, so fiel ihnen dies nicht weiter auf. Sie sahen Tom immer nur kauen oder etwas mit lang ausgestrecktem Hals schlucken. Irgendwie hatte er ständig etwas Schmackhaftes zwischen seinen rosafarbenen Schnabelhälften. Wie hätten sie da auf die Idee kommen können, dass er bei den Flügellosen etwas anderes tat, als sich durchzufuttern?
    Dieser Campingplatz war in jeder Hinsicht ideal, fand Tom. Es gab nicht nur Leckereien, sondern Wohnwagen, vierundvierzig an der Zahl, mit mindestens ebenso vielen Fernsehern. Dies garantierte ihm stets eine große Auswahl an Fernsehprogrammen. Jeder Camper hatte seine Vorlieben, und Tom nutzte deren Neigungen äußerst geschickt. Er kannte alle Parzellen und hatte die Bewohner und ihre Sehgewohnheiten genauestens studiert.
    Platz vier, zum Beispiel, war auf den Nachrichtensender »n-tv« spezialisiert, während in Wohnwagen dreiundzwanzig meist schon vor Sonnenaufgang quietschend-schrilles Kinderprogramm lief.

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