Tod Im Anflug
mehr wert gewesen, das war mir schnell klar. Schließlich hätte ich ihn auch nach so langer Zeit immer noch wegen Banküberfalls und Mordversuchs in den Knast bringen können. Abhauen konnte ich nicht, ohne Auto wäre ich nicht weit gekommen – und wohin auch? Also hieß es nur noch: er oder ich. Ich hatte nur eine Chance, und das hieß, ihm zuvorzukommen.«
Zum Kuckuck nochmal! Was kam denn jetzt bitte – hatte Ede etwa bei Bernds Tod nachgeholfen? Das waren ja unglaubliche Neuigkeiten. Tom kam nicht dazu, sich weitere Gedanken zu machen, denn schon sprach Ede weiter.
»Ich gebe zu, obwohl ich mit dem Rücken zur Wand stand, wollte ich doch auch Gerechtigkeit. Meine Gerechtigkeit – Rache. Und die Gelegenheit zur Abrechnung war bei der Gasdruckabnahme optimal, ich wusste genau, was zu tun war. Dass die Polizei gerade in einer anderen Sache auf dem Campingplatz ermittelt hat, kam mir dabei gar nicht ungelegen. Denn das hat die nur verwirrt. Also habe ich Bernd nach Beendigung der Arbeiten alles gezeigt, und Karl-Heinz war mein Zeuge und konnte später meine vorschriftsmäßige Arbeit bestätigen. Abends bin ich aber wieder zu Bernds Wohnwagen, ich wusste, er hatte einen Termin. Ich habe die Schlauchverbindung am Gasherd gelöst und den kleinen Absperrhahn unter der Spüle wieder umgelegt, so dass das Gas nun bei geöffneter Flasche ungehindert zum Herd und von dort aus der gelösten Verschraubung austreten konnte. Ohne Spuren zu hinterlassen, bin ich wieder raus. Nach Mitternacht bin ich nochmals hin, um zu sehen, ob Bernd schon schlief. Sein Schnarchen war das Startsignal. Mit einem Handgriff habe ich die Gasflasche auf der Deichsel aufgedreht.«
Nervös spielte Ede mit seinen Händen und dem feuchten Taschentuch, das kaum noch zu benutzen war. Erneut schüttelte er den Kopf. Die Wellen des Sees plätscherten dazu leise ans Ufer.
»Der Tod war im Anflug, und Bernd hat nichts davon gemerkt. Alles lag nun in des Teufels Hand. Während ich auf den nächsten Tag gewartet habe, war ich total durch den Wind. Erst durch die Kommissare, die mich vernommen haben, habe ich von Bernds Tod erfahren. Seitdem warte ich täglich auf meine Verhaftung. Ich bin mir sicher, die werden alles wieder aufrollen. Auf mich wartet lebenslänglich, Nili, wegen hinterhältigen Mordes aus niedrigen Beweggründen. Trotzdem, es musste sein, ich konnte nicht anders.«
Ede hatte sich alles von der Seele geredet, und Tom hatte ihm aufmerksam zugehört. Ausgerechnet Ede, bei dem er sich so wohl fühlte, hatte einen anderen Flügellosen eiskalt aus Rache umgebracht. Nie hätte er so etwas von ihm gedacht. Ede hatte rot gesehen, genau wie Charles Bronson.
»Die werden mich drankriegen«, stammelte Ede, »und vielleicht geschieht es mir ganz recht. Nur dich, Nili, dich werde ich vermissen.«
Obwohl es in der Welt der Gefiederten so gut wie keine Rachegelüste gab, konnte Tom Edes Beweggründe gut verstehen. Schließlich waren ihm flügellose Abgründe aus zahlreichen Krimis hinlänglich bekannt.
Trotzdem war dies kein Fall mehr für die Kommissare. Sie hatten ihre Zelte auf dem Campingplatz abgebrochen und waren nur noch einmal dorthin zurückgekehrt, um Tom und Rio wieder freizulassen. Aus der Unterhaltung, die Reiners und Hump während der Fahrt geführt hatten, wusste Tom, dass der Fall Bernd Stegner endgültig zu den Akten gelegt worden war. Sachverständigengutachten hatten seinen Unfalltod bescheinigt. Edes geschickte Manipulation war also noch nicht einmal Experten aufgefallen.
Obwohl Luzie fest davon überzeugt gewesen war, den perfekten Mord begangen zu haben, hatte sie einen Fehler gemacht. Der perfekte Mord war nicht ihr, sondern Ede gelungen, der nun auf seine Verhaftung wartete. Aber Tom war sich sicher, Ede würde bald von der Einstellung des Verfahrens im Fall Stegner erfahren. Irgendjemand auf dem Campingplatz würde es herausfinden und brühwarm weitererzählen. Denn auch die Flügellosen konnten ihre Schnäbel nicht halten. Wusste einer etwas, wussten es bald alle.
Darin unterschieden sich Gefiederte und Flügellose kein bisschen.
Ende
Lesen Sie mehr vom neuen Ermittlerduo Tom und Rio:
In ihrem nächsten Fall begeben sich die beiden auf die Suche nach dem jungen Erpel Klipper, der von seiner Mutter vermisst wird. Dabei stößt Tom an einem anderen See im Riedgras auf rotweißes Absperrband, die Spurensicherung – und die Kommissare Reiners und Hump. Er weiß sofort, das kann nur eines bedeuten: Mord. Und
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