Tod im Dom
aufgerissenen Mund, dann gab Anja Gas und alles, was von ihm blieb, war ein Blutfleck an der Scheibe.
Mit quietschenden Reifen schossen wir zur Ausfahrt.
Geschafft! Ich brüllte vor Begeisterung und drehte mich auf dem Beifahrersitz um, um dem Hurensohn den schlimmen Finger zu zeigen, doch mein Triumphgeheul erstarb mir auf den Lippen – der Stämmige sprang in den blauen Mercedes, neben dem wir in aller Ahnungslosigkeit geparkt hatten, und nahm die Verfolgung auf.
»O nein!« sagte ich entsetzt.
Wir schlingerten in die Domprobst-Ketzer-Straße, und der blaue Mercedes verschwand aus meinem Blickfeld. Aber nicht für lange; die rote Ampel an der Hauptpost zwang uns zum Halten, und als sie endlich auf Grün sprang, klebte der blaue Mercedes an unserer Stoßstange.
Der Stämmige grinste mich bösartig an.
»Der Scheißkerl ist direkt hinter uns!« schrie ich. »Der Scheißkerl verfolgt uns!«
»Dann hängen wir ihn eben ab«, erklärte Anja kühn und trat aufs Gaspedal.
Ich lachte schrill. Sie mußte verrückt sein, wenn sie glaubte, mit ihrem Trabbi einen Mercedes abhängen zu können. Außerdem konnten wir uns keine Verfolgungsjagd durch die Stadt erlauben. Wenn sie alles aus ihrem frisierten Zweizylinder-Zweitaktmotor herausholte und mit hundertfünfzig Sachen über jede Kreuzung donnerte, hatten wir nicht nur den blauen Mercedes, sondern auch noch die Polizei am Hals.
Aber was sollten wir sonst tun?
Anhalten und aussteigen und uns zum Kampf stellen? Vielleicht hatte der Bastard mehr als eine Pistole. Bei meinem Glück hatte er wahrscheinlich ein ganzes Waffenarsenal auf dem Rücksitz liegen.
»Ich weiß, was wir tun«, sprudelte Anja hervor. »Wir locken ihn zur nächsten Polizeiwache und lassen ihn verhaften. Wenn er der Dommörder ist…«
»Er ist es nicht«, unterbrach ich.
»Was?«
»Er ist es nicht. Ich bin mir völlig sicher, daß das nicht der Kerl ist, der mich angerempelt hat.«
»Aber wer ist er dann?«
Das hätte ich auch gern gewußt. Zweifellos ein Komplize, und das bedeutete das Ende für Anjas tröstliche Eifersuchtstheorie. Ich hatte wieder einmal recht gehabt; wir hatten es mit keinem gewöhnlichen Feld-, Wald- und Wiesenmörder zu tun, der auf eigene Faust die Leute umbrachte, sondern mit einer ganzen Bande von Gewaltverbrechern, die vor nichts zurückschreckten.
Mein Mut sank.
Vielleicht war es doch besser, wenn ich mich der Polizei stellte. Lieber lebenslänglich hinter Gittern als tot im Sarg.
Ich sah mich um.
Der Mercedes war noch immer dicht hinter uns. Und das Grinsen des Stämmigen schien noch eine Spur bösartiger geworden zu sein. Er wußte, daß wir ihm nicht mehr entkommen konnten, er wußte es!
Ich behielt ihn im Auge, während Anja über die Nord-Süd-Fahrt bretterte und in wilder Zickzackfahrt die Autos vor uns überholte. Der Mercedes ließ sich nicht abschütteln; er folgte uns, als wären wir durch ein unsichtbares Band miteinander verbunden. Es war aussichtslos. Zwickau hatte gegen Untertürkheim keine Chance.
Als ich mich wieder umdrehte, tauchte vor uns die Auffahrt zur Severinsbrücke auf.
»Halt dich fest!« sagte Anja.
Ich hielt mich fest, und sie riß das Lenkrad herum. Der Trabbi geriet gefährlich ins Schleudern, fing sich wieder und schlingerte die Auffahrt hinauf. Ich verlor den blauen Mercedes vorübergehend aus den Augen und hoffte schon das Beste, doch auf der Brücke hatte er uns wieder eingeholt und klebte erneut an unserer Stoßstange.
»Wo fährst du eigentlich hin?« fragte ich Anja entnervt. »So kommen wir nie nach Zollstock!«
»Auf die Autobahn. Nur dort kann ich alles aus dem Trabbi rausholen.«
Anjas Gesicht glühte, ihre Augen hinter den dicken Brillengläsern leuchteten in einem überirdischen Licht. Ich starrte sie an. Es machte ihr Spaß. Diese mörderische Verfolgungsjagd machte ihr Spaß! Und jetzt wollte sie auch noch auf die Autobahn. Es war einfach nicht zu fassen!
»Bist du wahnsinnig oder was? Gegen den Mercedes haben wir keine Chance!« wandte ich verzweifelt ein. »Und auf der Autobahn schon gar nicht!«
Anja sagte nichts, grinste nur und trat das Gaspedal bis zum Boden durch, und von da an war an eine Fortsetzung der Diskussion überhaupt nicht mehr zu denken. Der Motor entwickelte die Lautstärke eines Düsentriebwerks, die Plastekarosserie knirschte, als würde es sie im nächsten Moment zerreißen, und der Trabbi stampfte und bockte und drohte bei jeder Spurrille von der Bahn zu fliegen.
Der Mercedes holte
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