Tod im Dom
auf.
Ich begann zu beten.
Wir würden sterben, soviel stand fest.
Ein scheppernder Stoß erschütterte den Trabbi und beendete mein Gebet. Der verfluchte Bastard hatte uns gerammt! Der Trabbi brach zur Seite aus, rutschte für einen schrecklichen Moment auf die Leitplanken zu, ratterte über den rauhen Belag der Standspur, schlingerte auf die Bahn zurück, knapp an den Rücklichtern eines Lasters vorbei, und stabilisierte sich erst wieder auf der Überholspur.
Mir standen die Haare zu Berge.
Aber wir wurden noch schneller.
Und die Karosserie knirschte immer lauter.
Es konnte sich nur noch um Sekunden handeln, bis sich der Trabbi in seine Einzelteile auflöste, doch ich hatte die Autowerke in Zwickau unterschätzt. Sie mochten ihre Autos vielleicht falzen und kleben, statt auf Schrauben, Nieten und Schweißnähte zu setzen, aber der Klebstoff war beste deutsche Wertarbeit.
Er hielt.
Trotzdem änderte das nichts daran, daß uns der blaue Mercedes weiter auf den Fersen blieb. Selbst wenn wir den nächsten und übernächsten Rammstoß überlebten – früher oder später würde es uns erwischen.
Vor uns tauchte eine Lastwagenkolonne auf, die sich auf der rechten Fahrspur mit mäßiger Geschwindigkeit durch den immer heftiger werdenden Regen kämpfte. Anja nahm den Fuß vom Gaspedal und fädelte sich in eine beängstigend schmale Lücke zwischen einem Tankwagen und einem Schwerlastzug ein. Der Mercedes konnte uns jetzt nichts mehr anhaben, aber ich fühlte mich nicht unbedingt sicherer.
Wenn der Tankwagen vor uns plötzlich bremsen mußte, hätte der Stämmige sein Ziel erreicht. Dann konnte er unsere Überreste zusammen mit der braunen Reisetasche von der Straße kratzen und sie stolz seinem Boß, dem Domkiller, präsentieren, während Anja und ich auf Wolke Nummer sieben das Harfenspielen übten.
Ich hielt Ausschau nach dem Mercedes. Schon schob er sich auf der Überholspur heran und blieb auf unserer Höhe; wir saßen in der Falle.
Ein Schild blitzte auf und fiel hinter uns zurück.
Noch fünfhundert Meter bis zur nächsten Ausfahrt.
Ich sah Anja an. Sie spürte meinen Blick und nickte, ohne den Kopf zu drehen; sie hatte verstanden.
Die Ausfahrt kam in Sicht.
Rückte rasend schnell näher.
Anja behielt das Tempo bei und machte keine Anstalten, auf die Seitenspur auszuscheren und die Ausfahrt anzusteuern. Vor uns der Tankwagen, hinter uns der Schwerlaster, neben uns der blaue Mercedes, und in meinem Herzen Angst.
Nur noch Sekunden, dann waren wir an der Ausfahrt vorbei.
Der Schwerlaster fiel ein Stück zurück, der Mercedes wurde langsamer und scherte auf die rechte Seite aus, um sich wieder dicht hinter uns zu setzen.
»Wir sind zu schnell!« schrie ich. »Wir sind viel zu…«
Anja riß das Steuer herum. Mit halsbrecherischer Geschwindigkeit schleuderten wir in die Ausfahrt, streiften mit dem Heck die Leitplanke, rutschten für einen furchtbaren Moment steuerlos über den glatten Asphalt… und rollten dann so sicher durch die Kurve, als hätte Gott persönlich in die Lenkung eingegriffen, um unser Leben zu retten.
Ich drehte den Kopf.
Das letzte, was ich sah, war der blaue Mercedes, wie er scharf bremste, um uns zu folgen, wie er schleuderte, sich wieder fing und es einen Atemzug lang zu schaffen schien, bis der Schwerlaster laut hupend und mit auf geblendeten Scheinwerfern hinter ihm aus der Nacht angebraust kam, ihn mit dem Kühler erfaßte und in die Finsternis davontrug.
Dann war er fort.
Für immer.
6
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Der Tod ist eine gewaltige, schreckliche Macht, die von den Lebenden meist unterschätzt wird – sofern sie nicht jeden Gedanken an ihn zusammen mit ihren verstorbenen Verwandten auf dem nächsten Friedhof begraben. Ich kann jeden verstehen, der nichts mit dem Tod zu tun haben will; er ist häßlich, brutal und unwiderruflich und überhaupt mit jeder Menge Unannehmlichkeiten verbunden. Andererseits erlöst einen der Tod von vielen drückenden Problemen, und unbezahlte Rechnungen sind nur ein Teil davon.
Vielleicht hatte der Mann im blauen Mercedes den Druck der unbezahlten Rechnungen nicht mehr ertragen können und sich deshalb vor den Kühler des Schwerlasters gesetzt. Oder er hatte ganz einfach seine Fahrkünste überschätzt und das Ende genommen, das jeder verdiente, der den Präsidenten der Cologne Skater alias Harry Hendriks mit einer Pistole bedrohte.
So sehr ich ihm auch die Erlösung von allen irdischen Problemen gönnte – ich für meinen Teil hatte nach diesem
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