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Tod im Dom

Tod im Dom

Titel: Tod im Dom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Ziegler
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Häßlich auftauchte und sie hinterrücks erstach. Sie ging sogar immer langsamer, als hoffte sie, den Mörder doch noch aus der Reserve zu locken, sofern er sich überhaupt im Bahnhof herumtrieb, was ich immer mehr bezweifelte.
    Vielleicht hatte er den Verlust des Schließfachschlüssels noch gar nicht bemerkt. Oder er nahm an, daß er ihn einfach irgendwo verloren hatte. Oder in der Tasche befanden sich nur seine schmutzigen Socken, die weder für ihn noch für uns irgendeinen Wert hatten.
    Anja war fast an der Tür angelangt.
    Noch immer keine Spur von Mr. Häßlich. Es war wie verhext. Aber immerhin hatten wir die Tasche.
    Anja öffnete die Tür, zögerte und blickte zum erstenmal zu mir herüber. Ich gab ihr mit einem Achselzucken zu verstehen, daß die Sache gelaufen war, und sie verschwand nach draußen, um wie vereinbart zum Wagen zurückzukehren.
    Dann hörte ich ihren Schrei.
    Halb erstickt und so kurz, als hätte ihn jemand mit einem Messer abgeschnitten, aber es war unzweifelhaft Anja, die dort schrie.
    Ich rannte los.
    Da war plötzlich eine Angst in mir, wie ich sie noch nie zuvor verspürt hatte, nicht einmal bei meiner Flucht aus dem Dom. Angst um Anja, Angst um ihr Leben. Verdammt, ich hatte sie in diese Sache hineingezogen! Ich war für sie verantwortlich! Wenn ihr etwas passierte…
    Ich riß die Tür auf und stürmte hinaus in den Regen, in die Nacht.
    Der Stämmige!
    Es war der Stämmige in der gefütterten Lederjacke!
    Der Hurensohn hatte Anja von hinten gepackt, hielt ihr mit der einen Hand den Mund zu und zerrte mit der anderen an der braunen Reisetasche, aber Anja ließ nicht los. Sie klammerte sich an diese verfluchte Tasche, als hinge ihr Leben davon ab, dabei konnte sie froh sein, wenn sie außer der Tasche nicht auch noch das Leben verlor.
    »Laß sie los!« brüllte ich. »Laß sie sofort los, du Mistkerl!«
    Er ließ sie nicht los, und ich stürzte mich mit geballten Fäusten auf ihn. Doch ehe ich ihm den ersten Schlag verpassen konnte, schrie er schmerzgepeinigt auf – Anja hatte ihm dermaßen fest in die Hand gebissen, daß das Blut hervorquoll. Er riß die blutige Hand zurück, zerrte aber weiter an der braunen Tasche. Anja drehte sich um und trieb ihm mit aller Kraft ihr Knie zwischen die Beine.
    Mir wurde schon beim Zusehen schlecht, aber für den Stämmigen war es eindeutig schlimmer. Er gurgelte, ließ die Tasche Tasche sein und krümmte sich wimmernd zusammen. Seine Augen waren weit aufgerissen, und in ihnen las ich die wortlose Bitte um Erlösung.
    Ich erfüllte seine Bitte und schlug ihm auf die Nase. Er kippte wie ein schlaffer Sack um. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie Anja in ihrer Pink-Panther- Tasche nach dem antiimperialistischen Schlachtermesser kramte; gerade noch rechtzeitig bekam ich sie zu fassen und beförderte sie mit einem Stoß Richtung Trabbi.
    »Schnell, in den Wagen!« herrschte ich sie an. »Ich kümmere mich schon um den Kerl!«
    Der Kerl war zäher als erwartet. Kaum saß Anja im Trabbi und ließ den Motor an, rappelte er sich auf, wischte sich das Blut aus dem Gesicht und funkelte mich haßerfüllt an. Ich zeigte ihm meine Fäuste. Er grinste bösartig, griff in seine Lederjacke und zeigte mir seine Pistole.
    Ich schloß mit meinem Leben ab.
    Der Trabbi machte mit röhrendem Motor einen Satz nach vorn und rammte den Stämmigen mit dem Kotflügel. Die Pistole flog im hohen Bogen durch die Luft und verschwand in der Nacht, der Stämmige flog ein kurzes Stück hinterher und schlug schwer auf dem regennassen Asphalt auf.
    Eine Sekunde später war er wieder auf den Beinen.
    Es war gespenstisch.
    Als wäre ich in eine Szene aus dem Terminator geraten.
    »Harry! Verdammt, komm endlich! Worauf wartest du noch?« schrie Anja.
    Das fragte ich mich auch. Der Stämmige ging bereits mit gefletschten Zähnen auf mich los, und so zäh, wie er war, mußte ich ihn vermutlich mit Anjas Schlachtermesser in handliche Stücke schneiden, um ihn endgültig loszuwerden, und das konnte ich mir aus naheliegenden Gründen wirklich nicht leisten. Ich zwängte mich ins Auto, zog die Tür zu und verriegelte sie.
    Mit zwei, drei großen Sprüngen war der Stämmige am Wagen und rüttelte an meiner Tür. Als sie sich nicht öffnen ließ, schlug er vor lauter Wut auf das Plasteverdeck, trieb eine faustdicke Delle hinein und drückte dann die lädierte Nase am Fenster platt. Für einen Moment sah ich seine blutunterlaufenen, entmenschlichten Augen und den verzerrten, wie zu einem Schrei

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