Tod im Dom
Tag genug vom Tod.
Zwei Leichen in zwölf Stunden waren selbst für mein sonniges Gemüt zuviel. Ich war müde und deprimiert und mit den Nerven endgültig am Ende; ich wollte nur noch schlafen und am nächsten Morgen aufwachen und feststellen, daß alles nur ein böser Traum gewesen war.
Anja dagegen war guter Dinge – zu guter Dinge für meinen Geschmack.
»Du bist ein Held, Harry!« rief sie euphorisch, während wir wohltuend langsam zurück nach Zollstock fuhren. »Du hast mir das Leben gerettet! Ohne dich hätte mich dieser gräßliche Mensch garantiert erwürgt! Und ohne mich hätte er dich garantiert erschossen! Das beweist mehr als alles andere, daß wir vom Schicksal füreinander bestimmt sind.«
Ich verzichtete auf eine Richtigstellung.
Natürlich hatte ich ihr und sie mir das Leben gerettet, aber das hatte sie nicht daran gehindert, unser beider Leben durch diese Höllenfahrt über die Autobahn wieder aufs Spiel zu setzen. Wir waren nur um Haaresbreite dem Unfalltod entronnen, aber Anja tat so, als hätten wir eine kurze Spritztour ins Grüne gemacht.
Sie wurde mir immer unheimlicher. Gab es denn nichts, was sie erschüttern konnte?
Erst als wir in Zollstock aus dem Wagen stiegen und sie den eingedrückten Kotflügel und die Beulen am Heck sah, verlor sie ihre gute Laune, und zwar vollständig.
»Mein Trabbi!« rief sie verzweifelt. »Schau dir das an, Harry! Wie kann man mir so was nur antun? Wie soll ich das nur wieder hinkriegen? Und wer wird mir das bezahlen? Der Mistkerl ist doch tot!«
Sie brach in Tränen aus.
Ich fühlte mich ein wenig hilflos. Einen Moment lang war ich versucht, sie in die Arme zu nehmen und an meiner männlichen Brust zu trösten, aber dann dachte ich an die Wirkung ihres anschmiegsamen Körpers auf meinen Verstand und an die lange Nacht, die uns auf der erschreckend schmalen Couch bevorstand. Jetzt Gefühle zu zeigen, würde sich in ein paar Minuten als ernster Fehler erweisen.
Schicksal hin, Schicksal her – ich mußte stark bleiben!
Keine Sentimentalitäten.
Nicht nach dieser Höllenfahrt.
Wenn ich mich wirklich auf Anja einließ, konnte ich darauf wetten, daß ich spätestens in ein paar Monaten als kleine schwarze traurige Zahl in der amtlichen Unfallstatistik auftauchte. Was ich in meiner Lage am allerwenigsten brauchte, das war eine Freundin mit einer Kamikaze-Mentalität.
Ich griff nach der braunen Reisetasche, für die der Stämmige sein verpfuschtes Leben geopfert hatte, nahm Anja an die Hand und führte sie ins Haus. Oben goß ich ihr ein Gläschen Goldkrone ein, wartete, bis sie ihn hinuntergekippt und sich die Tränen vom Gesicht gewischt hatte, und genehmigte mir selbst einen dreifachen Weinbrand.
Anschließend ging es mir wesentlich besser.
»Mein armer Trabbi!« schniefte Anja und sah mich mit ihren verheulten Augen anklagend an, als wäre ich für die Beulen an ihrem Auto verantwortlich. »Weißt du, wie lange man bei uns warten mußte, bis man einen Trabbi zugeteilt bekam? Fünfzehn Jahre! Und jetzt ist er so gut wie hinüber. Ich verstehe das einfach nicht. Wie kann ein Mensch nur so gemein sein?«
»Nimm die Sache nicht persönlich«, riet ich ihr. »Diese Mercedesfahrer sind alle so. Wer keinen Stern an der Kühlerhaube hat, wird von ihnen gnadenlos von der Straße gedrückt.«
Anja schniefte wieder. »Dann sollten wir uns auch einen Mercedes kaufen. Einen rosaroten. Für vier Leute ist der Trabbi auf die Dauer sowieso zu klein.«
»Vier?« wiederholte ich. Der Schnaps war offenbar zuviel für sie gewesen. »Siehst du alles doppelt, oder hab’ ich was an den Ohren? Wieso vier? Wir sind nur zu zweit, und das auch nicht mehr lange.«
»Du wirst schon sehen«, sagte Anja und tupfte sich die letzte Träne von der Wange. »Eines Tages wirst du verstehen, und ich kann nur für dich hoffen, daß es dann nicht zu spät ist. Jetzt kümmern wir uns erst mal um die Tasche.«
Ich stellte die Reisetasche auf den Tisch. Sie war unförmig, billig, häßlich und damit genau die Tasche, die ein skrupelloser Mörder als Depot für seine schmutzigen Socken benutzen würde. Aber vielleicht steckte in ihr auch eine Bombe. Ich setzte mich und sah sie an. Vielleicht würde sie explodieren, wenn ich sie öffnete.
»Warum machst du sie nicht auf?« fragte Anja ungeduldig. »Warum schaust du nicht hinein? Worauf wartest du noch?«
»Sie könnte explodieren!«
Anja stand auf und wich bis zur Tür zurück. »Jetzt kannst du sie aufmachen. Ich bin in
Weitere Kostenlose Bücher