Tod im Dom
meine Erwartungen nur halb erfüllt; von einem satten Schwarz konnte keine Rede sein. Statt blond waren meine Haare jetzt schmutzigbraun. Ich würde die Prozedur wiederholen müssen, und bis dahin blieb mir nichts anderes übrig, als auf den Verfremdungseffekt der Kurzhaarfrisur und der neuen Klamotten zu vertrauen, in die ich geschlüpft war – Jeans, Bomberjacke und eine Baseballmütze mit der Aufschrift Skateboard Club Cologne.
Die Mütze hatte mir vor Jahren ein Skateboarder geschenkt, aus Dankbarkeit, weil ich ihn nächtens hoffnungslos betrunken vor einer Südstadtkneipe aufgelesen und auf seinem Brett nach Hause geschoben hatte. Am liebsten hätte ich mir auch noch ein Skateboard unter den Fuß geklemmt, aber auf die schnelle war keins aufzutreiben gewesen, und da ich sowieso nicht damit umgehen konnte, war es wohl auch besser so.
»Du siehst wirklich süß aus«, bemerkte Anja, während sie den Trabbi über die Nord-Süd-Fahrt steuerte. Die Fahrbahn war schwarz vor Nässe, die Rücklichter der anderen Autos glühten trüb durch die Regenschleier, und der Verkehr war zum Glück zu dicht, als daß der hochgetunte Zweizylinder-Zweitaktmotor seine ganze mörderische Kraft entfalten konnte. »Mit dieser Mütze würde dich nicht mal deine eigene Mutter erkennen, Harry!«
»Nenn mich nicht Harry«, bat ich milde. »Nenn mich Präsident. Und laß meine arme alte kranke Mutter aus dem Spiel.«
Aber Anja hatte zweifellos recht, wie ich mit einem Blick in den Rückspiegel feststellte. Es war erstaunlich, was ein flotter Haarschnitt und ein paar neue Klamotten aus einem Menschen machen konnten. Der teuflisch gutaussehende Taschendieb Harry Hendriks hatte sich quasi im Handumdrehen in den teuflisch gutaussehenden Präsidenten der Cologne Skater verwandelt. Wenn man nicht gerade meinen Ausweis kontrollierte, konnte man mich nur an meinem vertrauenerweckenden Lächeln identifizieren, und das war längst im Goldkrone- Weinbrand ertrunken.
Der Regen wurde stärker und prasselte so schwer auf das Plastedach, daß ich jeden Moment mit einem Wasserdurchbruch rechnete. Die Scheibenwischer mühten sich redlich um freie Sicht, doch ohne großen Erfolg, und die 12-Volt-Lichtanlage hatte kaum genug Kraft, auch nur ein paar Zentimeter Nacht zu erhellen.
Nur der frisierte Trabbi-Motor röhrte, als wollte er mir beweisen, daß er eigentlich unter die Kühlerhaube eines Schwerlasters gehörte.
Ein paar Minuten später bogen wir in die Komödienstraße. Vor uns reckte sich der Dom in den nächtlichen Himmel; im Licht der Festbeleuchtung hatte er Grünspan angesetzt, und die Gerüste, die sich an der von Smog und Taubendreck zerfressenen Fassade emporrankten, sahen aus der Ferne wie mutiertes Efeu aus.
Der Anblick des Doms verursachte mir Beklemmung, und je näher wir kamen, desto stärker wurde sie.
Ich reckte den Kopf, konnte aber weder auf der Domplatte noch auf der Trankgasse irgendwelche Polizisten entdecken. Natürlich nicht; der Mord lag schon einige Stunden zurück, die Untersuchungen am Tatort mußten längst abgeschlossen sein.
»Ist er nicht schön?« sagte Anja, als wir an der Ampel Trankgasse Ecke Bahnhofstraße hielten, und blickte ergriffen zum Dom hinauf. »Ich habe jahrelang davon geträumt, ihn besichtigen zu können. Jetzt habe ich ihn nicht nur gesehen, sondern auch noch dich getroffen. Es ist wie ein Wunder!«
Mir fehlte momentan jeder Sinn für Schönheit, von Wundern ganz zu schweigen. Der famose Ossi-Weinbrand hatte einen pelzigen Geschmack in meinem Mund und pochende Schmerzen in meinem Kopf hinterlassen. Außerdem mußte ich dauernd daran denken, was uns im Bahnhof erwartete.
Verändert, wie ich aussah, würde mich der Mörder wohl kaum erkennen – vorausgesetzt, er war dort, um sein Schließfach zu bewachen –, aber würde ich ihn erkennen?
Wieder versuchte ich mich an sein Gesicht zu erinnern; vergeblich. Da war nur dieser Eindruck allumfassender Häßlichkeit. Ich zuckte mit den Schultern; es spielte keine Rolle. Wer sich auf Anja stürzte, wenn sie das Schließfach ausräumte, und häßlich genug war, um ins Guinness-Buch der Rekorde zu kommen, der war unser Mann.
Die Ampel sprang auf Grün, wir bogen in die Bahnhofstraße und dann in die Taxispur, die am Bahnhof vorbei zu den Parkplätzen führte. Ich wappnete mich mit Geduld – freie Parkplätze gehörten in Köln eindeutig zu den aussterbenden Arten, aber wir hatten unverschämtes Glück; am Seiteneingang, zwischen einem blauen Mercedes
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