Tod im Dünengras
wären, würde der ganz sicher Lederhosen tragen.«
»Florian Silbereisen?« Erik dachte verzweifelt nach. Musste er den
auch kennen? Hatte er von einer Familie Silbereisen auf Sylt schon mal gehört?
In diesem Moment sagte Felix: »Guck mal, da liegt ein Schuh. Ein
Männerschuh.«
Erik nickte geistesabwesend. »Tja, manchen Leuten ist der
Dünenschutz eben völlig egal. Wer sich hier im Dünengras sonnt, dem geschieht
es auch ganz recht, wenn er später mit nur einem Schuh über die FriedrichstraÃe
humpeln muss.«
Unten am Wasser lieÃen Carolin und Mamma Carlotta erkennen, dass sie
ihre musikalische Einlage abgeschlossen hatten und den Strandspaziergang
fortsetzen wollten, ohne sich so auffällig zu benehmen, dass man sich für sie schämen
musste.
»Vielleicht war auch jemand wütend auf einen anderen«, meinte Erik,
während er im rutschigen Sand ein paar Schritte Richtung Meer machte, »und hat
ihm seinen Schuh nachgeworfen.«
Aber Felix antwortete nicht, ihm schien es ausnahmsweise die Sprache
verschlagen zu haben. Kein gutes Zeichen. Erik drehte sich um und sah, dass
sein Sohn die Düne mit ein paar weiteren Schritten erklommen hatte und nun
vornübergebeugt dastand. Die überdimensionale Jeans, die er trug, war noch
weiter heruntergerutscht als beabsichtigt, und als Felix sein Käppi in eine
völlig uncoole Position schob, wusste Erik, dass etwas AuÃergewöhnliches
geschehen sein musste.
Die Schrittnaht von Felixâ Jeans baumelte wie immer zwischen seinen
Kniekehlen, sonst hätte er den Mann zwischen den gespreizten Beinen seines
Sohnes sehen können. Aber auch so erkannte er schnell, dass in dem Schuh, der
Felix aufgefallen war, ein Bein steckte. Und dann sah er einen zweiten Schuh
und ein zweites Bein. Ein weiterer Schritt, und der Mann lag ausgestreckt vor
ihm.
»Das ist Henner Jesse«, sagte Felix mit zitternder Stimme. »Ist er
tot?«
Erik schob seinen Sohn zur Seite und kniete sich neben Henner Jesse
in den Sand. Das Gesicht des Mannes war stark verschwollen, blau verfärbt die
Augenpartie, die Lippen aufgeplatzt. Blut war aus der Nase getreten, ein rotes
Rinnsal war über die Schläfe gelaufen und auf dem Weg in den Sand vertrocknet.
Kein Zweifel, der Besitzer der Wenningstedter Jesse-Stuben hatte eine schwere
Schlägerei hinter sich.
»Ist er tot?«, wiederholte Felix mit ängstlicher Stimme.
Erik beugte sich über Jesses Brust, tastete nach seinem Puls und hob
ein Augenlid. Dann schüttelte er den Kopf und zog sein Handy aus der Tasche.
»Nein, er lebt noch. Wir müssen sofort Hilfe holen.«
Das kleine, spitzgieblige Haus am Süder Wung erzitterte,
als Mamma Carlotta die Tür ins Schloss warf. »Der arme Mann!«
Carolin ging schweigend in die Küche, während ihre Nonna sich noch
das Entsetzen von der Seele reden musste.
»Wie lange mag er dort gelegen haben? Hilflos! Mehr tot als
lebendig! Madonna!«
Carolin holte die Kalbsschnitzel und den Parmaschinken aus dem
Kühlschrank und suchte in der Speisekammer nach den Salbeiblättern.
»Was wäre gewesen, wenn Felice und Enrico ihn nicht zufällig
gefunden hätten? Dann läge er womöglich jetzt noch da.«
Mamma Carlotta erwärmte sich an der Katastrophe, an dem grässlichen
Schicksal des Opfers, der Erinnerung an den Krankenwagen, der ausnahmsweise den
Strand befahren durfte, und die aufregenden Bemühungen des Notarztes. Sie zog
die dicke Strickjacke aus, obwohl sie kurz zuvor noch den kalten Sommer auf der
Insel verflucht hatte, und hängte sie über eine Stuhllehne. Katastrophen
brachten sie ins Schwitzen.
»Kennst du Henner Jesse, Carolina?«
»Nicht wirklich, ich weià nur, dass ihm die Jesse-Stuben hier in
Wenningstedt gehören, das ist eine Kneipe an der WesterstraÃe.«
»Hat der arme Mann Feinde?«
Carolin zuckte mit den Schultern. »Kann ich mir eigentlich nicht
vorstellen.«
»Ob man ihn umbringen wollte?«
»Dann wäre er jetzt tot.«
»Vielleicht hat der Täter angenommen, er sei tot. Und hat ihn
deshalb liegenlassen.«
»Vielleicht hat er sich nur mit jemandem gestritten.«
»In den Dünen? Mitten in der Nacht?«
Carolin dachte kurz nach. »Ja, irgendwie komisch. Der Notarzt hat
gesagt, er läge schon seit Stunden dort.«
»Also hat er sich in der Nacht mit jemandem in den Dünen getroffen.
Sehr
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