Tod im Netz: Kriminalroman (Oldenburg-Krimi) (German Edition)
Kaum ein Mordfall schaffte es, bundesweit Aufsehen zu erregen. Dafür konnte man - von der Tagespresse weitgehend unbehelligt - in Ruhe seinem Tagwerk nachgehen.
Meistens tauchte Paul als Erster im Büro auf und setzte erst einmal frischen Kaffee auf. Er genoss es, vor den Kollegen dort zu sein, um ungestört liegengebliebenen Papierkram zu erledigen. Seine dampfende Kaffeetasse stand vor ihm auf dem schlichten Schreibtisch, als das Telefon klingelte. Er ließ seinen langweiligen Bericht fallen und griff so ungeschickt in Richtung des Hörers, dass er den Becher samt stimmungsaufhellendem Gebräu umstieß.
» Scheiße!«
Die braune Brühe ergoss sich über den Bericht . Das Papier färbte und wellte sich. Seine Kollegin Lisbeth Eicken betrat in diesem Augenblick das Büro, sah das Malheur, grinste und fragte:
» Willst du nicht rangehen?«
» Oh ja, doch!« Paul versuchte jedoch zunächst, das Schriftstück irgendwie zu retten.
» Lass mal, ich mach schon, du bist ja beschäftigt.« Lisbeth ergriff den Hörer, während Paul sich die Hände mit einem Papiertaschentuch abwischte. Während des Telefonats erkannte Paul bei Lisbeth einen eigentümlich Zug um die Augen, der Überraschung verriet. Mit einem Mal war ihre gute Laune verflogen.
***
Nicht mit heulender Sirene, wie man es aus amerikanischen Krimiserien kannte, sondern mit dem Zivilfahrzeug fuhren sie gesittet zum Tatort. Schließlich war das Opfer ja schon tot, es würde nicht weglaufen. Während Kriminalhauptkommissar Schweigert am Steuer saß, kaute Lisbeth hektisch ihr Kaugummi und spielte gedankenverloren an ihren langen schwarzen Haaren.
» Ich glaube das einfach nicht. Eine junge blonde Frau liegt tot hier bei uns in Rastede im Wald, wo sonst nie was passiert.«
» Oh, Lissi, wir wissen doch noch fast nichts. Wie du gesagt hast, soll die Tote noch bekleidet sein. Wir können noch nicht mal davon ausgehen, dass es sich um ein Verbrechen handelt.«
» Ach nee, und sie ist dann an einem Herzanfall gestorben, mitten im Wald, oder wie? Das glaubst du doch selbst nicht. Bei euch in Frankfurt mag das ja an der Tagesordnung gewesen sein, aber hier passiert so etwas sehr selten.«
» Wer hat die Tote denn gefunden?«, fragte Paul Schweigert, um vom Thema abzulenken und seine junge Kollegin zu beruhigen.
» So ein alter Sack, der mit seinem Hund spazieren war.«
» Dann lassen wir erst einmal die Spurensicherung ihre Arbeit machen, und dann kannst du immer noch spekulieren und Mutmaßungen anstellen. Ich dachte, du bist zur Polizei gegangen, um gerade solche Sachen - wenn es denn ein Verbrechen war - aufzuklären.«
» Bin ich auch. Ich verstehe gar nicht, wieso dich so etwas kalt lassen kann. Eine junge Frau, die hatte doch ihr ganzes Leben noch vor sich.«
» Mich lässt so etwas überhaupt nicht kalt. Aber zu unserem Beruf gehört immer auch eine Distanz, und wir müssen professionell sein.« Paul lenkte den Passat auf einen Parkplatz nahe der Akademie. Das rot-weiße Flatterband, das den Tatort absperrte, war schon von weitem zu erkennen, genauso wie die Streifenwagen.
Mit einer Bemerkung hatte seine Kollegin allerdings nicht recht gehabt: Ein Tötungsdelikt an einer jungen Frau war selbst in Frankfurt nicht an der Tagesordnung. So kühl Paul auch nach außen hin wirkte, so nahm ihn das Betrachten einer so jungen toten Frau jedes Mal mit. Als Paul einmal eine besonders übel zugerichtete Mädchenleiche im Frankfurter Stadtwald sah, musste er sich sogar übergeben. Wie durch die Rechtsmedizin später festgestellt wurde, musste der Täter wie im Blutrausch 19mal auf das vorher erwürgte Opfer eingestochen haben. 'Übertötet' nannte es der Arzt. Nach quälenden sechs Monaten konnten sie schließlich den Täter ermitteln. Ein Gerichtsgutachter stellte eine schwere Persönlichkeitsstörung aufgrund einer schwierigen Kindheit fest. Paul konnte und wollte sich nie damit abfinden, dass Täter schnell als Opfer dargestellt wurden. Wer kümmerte sich um die trauenden Eltern, deren Leben nie wieder so sein würde wie vorher?
Lisbeth Eicken stieg aus dem Wagen und ging energisch auf einen Streifenpolizisten zu.
»Moin, Kollege. Ich bin Lisbeth Eicken. Wir sind von der Kripo.« Der Angesprochene nahm die ausgestreckte Hand der Kriminalkommissarin an und schüttelte sie.
» Moin, ich bin Polizeiobermeister Delius. Ich führe Sie zum Fundort.«
» Sind Sie als Erster am Fundort der Leiche gewesen?«
» Ja, zusammen mit meinem Kollegen Brenner. Um
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