Tod im Tal der Heiden
selbst war errichtet worden, um die Eóghanacht vor ihren neidischen Nachbarn zu schützen, und ebenso die anderen Hauptburgen wie Tara, Navan, Ailech, Cruachan und Ailenn. Diese Burg besaß zwar bei weitem nicht die Größe der anderen, doch es war eine starke und gut konstruierte Festung mit mehreren zwei- und sogar dreistöckigen Gebäuden. Auch ein mächtiger Wachturm war zu erkennen.
Sie bemerkte mehrere Wachposten, die von den Mauern des
rath
herab ihre Annäherung beobachteten. Auch neugierige Männer und Frauen drängten sich dort. Zwei Krieger standen am offenen Tor der Burg. Es hatte schwere Eichenholzflügel, mit Eisen verstärkt und mit eisernen, gut geölten Angeln, und obwohl es weit offen stand, diente es augenscheinlich nicht nur zur Zierde. Über dem Torweg wehte ein Banner aus blauer Seide im Wind. Eine Hand mit erhobenem Schwert war darauf gestickt, das Wappen der Fürsten von Gleann Geis.
Ein hochgewachsener blonder Krieger am Tor hob die Hand zu respektvollem Gruß.
»Du kommst ohne deine Begleiter zurück, Orla, doch mit zwei Fremden. Ist etwas nicht in Ordnung?«
»Ich bringe die Gesandten aus Cashel zu meinem Bruder, Rudgal. Artgal und die anderen werden bald folgen. Es gab … Es gab etwas, was sie untersuchen müssen.«
Der blonde Krieger musterte erst Fidelma und dann Eadulf mit mißtrauischen Blicken, trat jedoch höflich beiseite, als Orla sie durchs Tor auf einen weiten gepflasterten Hof führte, den eine große Gebäudegruppe umgab. Es war der übliche Hof, in dessen Mitte eine große Eiche stand. Eadulf verstand inzwischen so viel von den Traditionen, daß er wußte, daß dies der
crann betha
oder Baum des Lebens, das Totem des Clans war. Er war das Symbol für das moralische und materielle Wohlergehen des Volkes. Wenn es Streit gab zwischen zwei Clans, konnte einem Clan nichts Schlimmeres widerfahren, als daß der andere Clan in sein Gebiet einfiel und seinen heiligen Baum fällte oder niederbrannte. Nach einer solchen Tat war der eine Clan demoralisiert, und der andere konnte sich des Sieges über ihn rühmen.
Zwei Knaben liefen herbei, als Orla vom Pferd glitt.
»Die Stallburschen kümmern sich um eure Pferde«, erklärte Orla, als Fidelma und Eadulf ihrem Beispiel folgten und abstiegen. Die Jungen nahmen ihnen die Zügel ab, während sie ihre Satteltaschen abschnallten.
»Ich nehme an, ihr wollt euch nach eurer anstrengenden Reise erfrischen, bevor ihr euch mit meinem Bruder und den anderen trefft?« fuhr die Frau des Tanist fort. »Ich zeige euch unser Gästehaus. Wenn ihr gebadet und gegessenhabt, wird euch mein Bruder Laisre sicherlich in der Ratshalle begrüßen wollen.«
Fidelma gab zu verstehen, daß ihnen dies sehr recht sei. Ein oder zwei Leute, die den Hof überquerten, grüßten Orla und betrachteten Fidelma und Eadulf mit unverhohlenem Interesse. Orla machte sich nicht die Mühe, sie vorzustellen. Ein junges Mädchen kam angerannt.
»Warum kommst du so früh zurück, Mutter?« wollte sie wissen. »Wer sind diese Fremden?«
Fidelma war die Ähnlichkeit zwischen Orla und dem Mädchen sofort aufgefallen. Das Mädchen war kaum über vierzehn. Der Stil ihrer Kleidung und des Schmucks verriet, daß sie über das Alter der Wahl hinaus war und somit als Erwachsene galt. Sie hatte das dunkle, volle, lockige Haar ihrer Mutter und ihre funkelnden Augen. Sie war hübsch und sich ihrer Reize voll bewußt, denn sie zeigte eine kokette, selbstbewußte Haltung.
Orla begrüßte ihre Tochter mit zerstreuter Zurückhaltung.
»Wer sind diese Christen, Mutter?« beharrte das Mädchen, das sie anscheinend an ihrer Kleidung erkannt hatte. »Sind sie Gefangene?«
Orla runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf.
»Sie sind Gesandte aus Cashel, Esnad, Gäste deines Onkels. Nun mach dich fort, du kannst sie später begrüßen.«
Esnad betrachtete Eadulf mit einem offen prüfenden Blick.
»Der da ist zwar ein Fremder, aber dafür ist er ganz ansehnlich«, verkündete sie mit koketter Miene.
Fidelma versuchte ihre Belustigung zu verbergen, während Eadulf heftig errötete.
»Esnad!« fauchte ihre Mutter verärgert. »Jetzt aber fort mit dir!«
Das Mädchen wandte sich um, lächelte Eadulf über die Schulter zu und ging, sich aufreizend in den Hüften wiegend, langsam über den Hof davon. Orla seufzte erbittert auf.
»Deine Tochter ist im Alter der Wahl?« fragte Fidelma.
Orla nickte.
»Es ist schwer, einen Mann für sie zu finden. Ich fürchte, sie hat da ihre eigenen
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