Tod im Tal der Heiden
die Augen eines Tieres, das seine Beute beobachtet. Sie erschienen klein in dem breiten Gesicht. Der Mann war nicht groß, eher untersetzt als dick, obgleich das fleischige Gesicht dazu verleitete, ihn für beleibt zu halten, bis man seine muskulösen Schultern und kräftigen Arme bemerkte.
»Ich bin Bruder Solin«, verkündete er wichtig, »Sekretär des Erzbischofs Ultan von Armagh.« Seine Sprechweise bei dieser Vorstellung bestätigte, daß er aus dem Königreich der Uí Néill von Ulaidh kam. Etwas an ihm ließ Fidelma sofort einen Widerwillen gegen ihn fassen. Vielleicht war es die Art, in der er sie beinahe abschätzend anstarrte und die keinen Zweifel daran ließ, daß er sie als Frau beurteilte und nicht als Person. »Orla hat mich von eurer Ankunft unterrichtet. Du bist Schwester Fidelma, und du mußt der fremde Geistliche sein.«
»Du bist weit entfernt von Armagh, Solin.« Fidelma erhob sich, ungern zwar, doch die Höflichkeit gebot es in Anbetracht der Stellung des Geistlichen aus dem Norden.
»So wie du von Cashel«, erwiderte der untersetzte Mann ungerührt, trat zu ihnen und setzte sich.
»Cashel ist der Königssitz dieses Reiches, Solin«, entgegnete Fidelma kühl.
»Armagh ist der Königssitz des Glaubens für alle fünf Königreiche«, wehrte der Mann lässig ab.
»Das ist durchaus umstritten«, gab Fidelma zurück. »Der Bischof von Imleach erkennt solchen Vorrang keineswegs an.«
»Nun, das ist eine so heikle Frage, daß wir sie der Zukunft überlassen sollten.« Solin schob das Thema wie gelangweilt beiseite.
Fidelma ließ sich nicht ablenken. Sie beschloß, direkt zu werden.
»Wozu hält sich der Sekretär Ultans von Armagh in diesem kleinen Winkel des Königreichs meines Bruders auf?«
Solin goß sich einen Becher Met aus dem Krug auf dem Tisch ein.
»Verbietet Cashel sein Land wandernden Geistlichen?«
»Das ist keine Antwort«, konterte Fidelma. »Ich meine, du fällst wohl kaum in die Kategorie eines
peregrinator pro Christo
.«
Ein zorniges Funkeln trat in Solins Augen.
»Schwester, ich glaube, du vergißt dich. Als Sekretär Ultans …«, protestierte er.
»Du hast mir gegenüber keinen Anspruch auf einen höheren Rang. Ich bin hier als Gesandte meines Bruders, des Königs von Cashel. Wozu bist du hier?«
Einen Moment wich das Blut aus Solins Gesicht, aber er bezwang seine Wut über diese direkte Frage. Er gewann die Fassung zurück und lächelte dünn.
»Ultan von Armagh entsendet mich in die entfernten Winkel der fünf Königreiche, um zu erfahren, wie es mit dem Glauben vorangeht. Er hat mir Geschenke mitgegeben, die ich verteilen soll …«
Plötzlich öffnete sich die Tür.
Es war Orla. Sie trat mit verärgerter Miene ein.
»Was soll das heißen?« fauchte sie. »Man läßt meinen Bruder warten. Ist das die Höflichkeit, die Cashel seinen Fürsten erweist?«
Solin erhob sich mit schmierigem Lächeln.
»Ich war gerade dabei, die gute Schwester zu überreden, mich in die Ratshalle des Fürsten zu begleiten«, erklärte erkriecherisch. »Sie schien mehr interessiert an den Gründen für meinen Aufenthalt in Gleann Geis.«
Fidelma öffnete den Mund, um diese Lüge zu widerlegen, schloß ihn jedoch wieder. Sie wandte sich zu Orla um und begegnete ihrem Zorn mit steinerner Miene.
»Ich bin bereit. Geh uns voran.«
Orla stutzte einen Moment vor Fidelmas hochmütigem Ausdruck, denn sie war es nicht gewohnt, ihre Autorität in Frage gestellt zu sehen. Dann führte sie sie ohne ein weiteres Wort aus dem Gästehaus. Eadulf und Solin folgten ihnen.
Laisres Gemächer befanden sich im größten Gebäude des
rath.
Man betrat das zentral gelegene dreistöckige Gebäude durch eine große Tür und gelangte in eine weite Empfangshalle, von der Gänge nach rechts und links und eine Steintreppe zu den oberen Stockwerken abgingen. Eine hohe Tür im Inneren führte in einen großen, verräucherten Raum mit hoher Decke. Dort waren mehrere Personen versammelt. Teppiche schmückten die Wände, und Hängelampen spendeten Licht, außerdem ging vom Kamin in der Mitte, in dem Scheite brannten, ein hell glühender Schein aus. Der Kamin war auch die Ursache für die rauchige Luft.
Zwei Jagdhunde lagen ausgestreckt vor diesem Kamin. An einer Seite stand ein großer geschnitzter Eichensessel. Um ihn drängten sich mehrere Männer und Frauen, der engere Kreis des Fürsten. Zwei Krieger bewachten die Tür, ein dritter stand direkt hinter dem Amtssessel. In ihm erkannte Fidelma den
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