Tod im Tal der Heiden
Höhen in Wasserfällen herabstürzte. Dann nahm er seinen Lauf zu einer anderen Felsspalte, die der ausgetrockneten Schlucht ähnelte, durch die sie hereingekommen waren. Durch eine Lücke in der Granitwand verließ er das Tal. Den Talboden bedeckten weithin Kornfelder,sich gelb färbende Vierecke mit Hafer und Weizen, und dazwischen Weideland, auf dem sich die Rinderherden braun, weiß und schwarz von dem grünen Teppich abhoben. Zwischen ihnen waren kleine weiße Herden von Schafen und Ziegen auszumachen.
Eadulf erkannte sofort, daß vor ihnen ein fruchtbares Tal lag, reich an Weideland und Äckern. Es war von einer natürlichen Befestigung umgeben. Die Berge ringsum erhoben sich zu ihrer erhabenen, unübersteigbaren Höhe, die das Tal vor den Winden schützte. Er konnte Gebäude erspähen, die sich an die Flanken der Berge zu klammern schienen. Die meisten waren anscheinend auf kleinen Terrassen erbaut. Die gleichen blaugrauen Granitblöcke, die die Mauern der Gebäude bildeten, waren auch zur Anlage der Terrassen verwendet worden.
Man brauchte sich nicht zu fragen, welches unter den vielen Gebäuden im Tal der
rath
von Laisre war. Am oberen Ende des Tals standen in vornehmer Abgeschiedenheit auf einem einzigen runden Berg die Mauern eines großen
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oder einer Burg, die sich den Konturen des Berges anpaßten. Eadulf war sich nicht sicher, ob der Berg – oder besser gesagt der Hügel, denn nach seiner Schätzung ragte er weniger als dreißig Meter über den Talboden auf – eine natürliche Erhebung war oder nicht. Eadulf wußte, daß manche der Erhöhungen, auf denen solche Burgen erbaut wurden, von Menschen geschaffen worden waren, und er fragte sich, welch ein unglaublicher Aufwand an Zeit und Arbeit in früheren Zeiten dafür erforderlich war. Diese Burg war zu weit entfernt, als daß er Einzelheiten erkennen konnte, doch er wußte, daß ihre Mauern mindestens sechs Meter hoch sein mußten.
Ja, dieses Tal bot ein eindrucksvolles Bild, doch trotz seiner Weite und Länge wurde Eadulf von einer überwältigenden Klaustrophobie gepackt, als er zu den Bergen ringsum aufblickte. Er hatte das Gefühl, eingeschlossen, eingesperrt zu sein. Er schaute Fidelma an und sah, daß auch sie die atemberaubende Landschaft eingehend betrachtet hatte. Ihre Miene zeigte denselben Respekt.
Orla hatte ihre Gesichter bei dieser Umschau mit einem leicht spöttischen Lächeln der Befriedigung beobachtet.
»Jetzt werdet ihr verstehen, warum dies das Verbotene Tal heißt«, bemerkte sie.
Fidelma sah sie ernst an.
»Unzugänglich – ja«, antwortete sie, »doch weshalb verboten?«
»Die Barden unseres Volkes singen von der Vorzeit. Es soll in jenen Tagen gewesen sein, als Oillil Olum als Richter in Cashel herrschte und wir außerhalb dieses Bereichs wohnten. Wir lebten im Schatten eines mächtigen Lords der Fomorii, der mit seiner Habgier und seiner Wollust unser Land und unser Volk verheerte. Schließlich beschloß unser Fürst, mit unserem Volk aus dem Machtbereich des Tyrannen der Fomorii fortzuziehen und sich ein neues Land als Wohnsitz zu suchen. So kamen wir schließlich hierher. Wie ihr seht, fanden wir hier einen natürlichen Schutz vor unseren Feinden. Es gibt nur einen Weg hinein in dieses Tal und denselben Weg hinaus …«
»Außer den Fluß«, warf Eadulf ein.
Die Frau lachte.
»Nur wenn du ein Lachs bist, kannst du auf diesem Weg in das Tal gelangen. Der Fluß bricht durch den Felsen und stürzt über viele Schnellen und Wasserfälle. Da kommtkein Boot hinauf oder hinunter. Nein, dies ist eine natürliche Festung, und es darf nur hinein, wen wir einladen. Für die, die wir nicht in Freundschaft begrüßen wollen, bleibt es das Verbotene Tal. Ein paar tüchtige Krieger können die Schlucht sperren, wie ihr gesehen habt.«
»Ich habe auch gesehen, daß ihr sehr viele Krieger besitzt, ungewöhnlich viele für so einen kleinen Clan«, meinte Fidelma.
Orla wies das zurück.
»Es sind keine Berufskrieger, wie ihr sie in Cashel habt. Dafür ist unser Clan zu klein. Jeder unserer Krieger hat noch andere Aufgaben zu erfüllen. Artgal zum Beispiel ist Schmied und hat außerdem einen kleinen Bauernhof. Jeder Mann tut abwechselnd Dienst, um unsere Sicherheit vor möglichen Feinden zu gewährleisten. Doch meist sind wir von der Hand der Natur geschützt.«
»Ein abgeschiedenes Dasein.« Eadulf seufzte. »Wie viele Menschen leben hier unter Laisres Herrschaft?«
»Fünfhundert«, gestand Orla.
»Wenn ihr hier schon
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