Tod im Tal der Heiden
ungewohnte Verzagtheit. Solche Verzweiflung hatte sie bisher nicht an sich gekannt.
Sie versuchte, ihre Gedanken auf die unmittelbare Frage des Überlebens zu konzentrieren. Mit Abscheu sah sie sich in der dunklen, muffigen Zelle um. Es roch widerlich hier. Sie erschauerte und schlang die Arme um sich, als biete das einen Trost.
Etwas bewegte sich in dem Strohsack. Eine dunkelgraue Ratte kam heraus und verschwand in einem Loch zwischen den Granitsteinen. Fidelma schüttelte sich heftig und schritt hin und her. Sie hoffte, Eadulf würde bald kommen. Nachdem sie ihm ihre Anweisungen gegeben hätte, wollte sie versuchen, sich mit Hilfe des
dercad,
der Kunst der Meditation, von ihrer Niedergeschlagenheit zu befreien. Generationen irischer Mystiker hatten damit äußerliche Gedanken und geistige Irritationen beruhigt und den Zustand des
sitcháin,
des Friedens, erlangt. Sie hatte diese alte Kunst in Zeiten der Bedrängnis regelmäßig geübt. Doch nie in ihrem Leben hatte Fidelma das Meditieren so nötig gehabt wie jetzt.
Nach fünfzehn Minuten, die ihr wie mehrere Tage vorkamen, betrat ein blasser Eadulf mit besorgter Miene die Zelle, gefolgt von Rudgal.
»Fidelma, was für ein Unglück hat dich hierhergebracht? Ach, von Rudgal habe ich bisher nur ganz wenig darüber erfahren. Sag mir, wie ich deine Freilassung erreichen kann?«
Fidelma stand mitten im Raum und lächelte besänftigend, um Eadulfs Befürchtungen zu mildern.
Rudgal sprach, bevor sie antworten konnte.
»Während du dem Angelsachsen deine Anordnungen gibst, sehe ich zu, daß ich dir etwas bringen kann, was das Leben in diesem Loch ein wenig erträglicher macht.« Er verließ sie und schloß die Tür hinter sich ab.
»Was kann ich tun?« fragte Eadulf in so angstvollem Ton, daß seine Stimme in dem hallenden Raum unnatürlich klang. »Mein Gott, was für Vorwürfe mache ich mir. Ich war wie benommen, ich bin erst wach geworden, als Rudgal kam und mir sagte, du bist hier. Warum hast du mich nicht geweckt, als du das Gästehaus verlassen hast? Ich hätte das hier vielleicht verhindern können. Wenn ich bei dir gewesen wäre …«
»Vor allem mußt du ruhig bleiben, Eadulf«, befahl ihm Fidelma. »Du bist der einzige, der meine Freilassung bewirken kann.«
Eadulf schluckte schwer.
»Sag mir, was ich tun muß.«
»Ach, ich kann dir hier nicht einmal etwas zum Sitzen anbieten, denn der Strohsack ist voller Ungeziefer und kein angenehmer Ruheplatz. Also müssen wir stehen bleiben, während ich dir erkläre, was passiert ist.«
Sie hatte ihren Bericht fast beendet, als sich die Tür wieder öffnete. Rudgal brachte eine Holzbank herein.
»Verzeih, Schwester, daß ich so lange fort war, aber ich habe ein Bett und eine Sitzgelegenheit gesucht. Das Bett hole ich gleich, damit du nicht auf diesem feuchten, kalten Boden liegen mußt. Inzwischen mußt du mit der Bank auskommen.«
Fidelma dankte ihm herzlich.
»Rudgal hat mir seine Hilfe angeboten, und ich meine, ihm können wir vertrauen«, fügte sie für Eadulf hinzu.
Eadulf nickte ungeduldig.
Rudgal schob die Bank an eine trocknere Wand der Zelle und ging wieder.
Fidelma setzte sich und erzählte weiter. Eadulf stöhnte angstvoll, als sie fertig war, und breitete die Hände in einer hoffnungslosen Geste aus.
»Wenn du sowohl Laisre als auch Murgal gegen dich hast, weiß ich nicht, was ich tun soll.«
»Du mußt einen Weg finden«, sagte Fidelma fest. »Schließ lich ist das die Aufgabe eines
dálaigh
.«
»Aber ich bin doch kein in eurem Recht ausgebildeter Anwalt«, protestierte Eadulf.
»Ich bin es aber. Ich berate dich, und du mußt eine Möglichkeit finden, die Wahrheit dessen, was ich sage, zu beweisen. Die Sache ist verworren. Orla und ihr Ehemann Colla wirken so überzeugend mit ihren Aussagen. Aber ich schwöre, Eadulf, daß ich Orla aus dem Stall herauskommen sah. Sie und Colla müssen lügen. Daß ich sie erkannt habe, scheint ihren Bruder Laisre sehr zu beunruhigen. Vermutlich sieht er darin eine Kränkung seiner Familienehre, doch ich glaube, wenn es nur um eine Meinungsverschiedenheit zwischen Artgal und mir ginge, hätte Laisre Artgals Aussage weniger ernst genommen. Die Tatsache, daß ich seine Schwester belastet habe, hat ihn ziemlich wütend auf mich gemacht.«
»Ich verstehe nicht, weshalb er so zornig ist, daß er dir eine faire Anhörung verweigert.«
»Ach, Familienehre ist immer eine komplizierte Angelegenheit. Ich kann nicht sagen, daß sein Verhalten unfair wäre. Und was
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