Tod im Tal der Heiden
bis dahin warten mußte, ehe er Murgal um Erlaubnis bitten konnte, seine Bibliothek benutzen zu dürfen. Wahrscheinlich war Murgal nach den Aufregungen der Nacht gerade erst zu Bett gegangen.Eadulf wußte, wenn er Fidelma helfen wollte, mußte er hellwach sein. Zwei Nächte hatte er nicht gut geschlafen, deshalb beschloß er, sich noch ein oder zwei Stunden ins Bett zu legen. Trotz seiner Gemütsverfassung hatte er sich kaum ausgestreckt, als er schon tief schlief.
Er erwachte von Geräuschen, die aus dem Hauptraum des Gästehauses zu ihm drangen. Einen Moment konnte sich Eadulf nicht an die Geschehnisse der vergangenen Nacht erinnern. Dann brachen sie wie eine Sturzflut über ihn herein. Er erhob sich und ging hinunter.
Cruinn war da und starrte ihn feindselig an, als sie ihn erblickte. Der junge Mönch, Bruder Dianach, saß traurig und bekümmert in einer Ecke. Sobald er Eadulf bemerkte, machte er ein zorniges Gesicht. Es war klar, daß der Tod Bruder Solins und die Verhaftung Fidelmas heute morgen die Gespräche im
rath
beherrschten.
»Warum hat sie das getan?« Bruder Dianachs anklagende Worte trafen Eadulf wie ein Peitschenhieb. Der junge Mann stand auf, als wolle er auf Eadulf losgehen. »Hat sie ihn derart gehaßt?«
Eadulf blieb am Fuße der Treppe stehen und blickte Bruder Dianach mitfühlend an.
»Schwester Fidelma hat Bruder Solin nicht getötet«, erwiderte er ruhig.
Cruinn murmelte in unterdrücktem Zorn etwas vor sich hin. Die rundliche Frau wirkte jetzt nicht mehr fröhlich, sie hatte sich in eine wütende Hexe verwandelt.
Eadulf schaute vom einen zum anderen und zuckte die Achseln. Er merkte, daß beide nicht gewillt waren, sich Fidelmas Seite der Geschichte anzuhören. Er wandte sich ab und ging in den Baderaum. Als er seine Toilette beendethatte, war von Cruinn und Bruder Dianach nichts mehr zu sehen. Er begab sich hinauf in sein Zimmer und zog sich an. Als er zurückkam, stellte er fest, daß Cruinn ihm kein Frühstück hingestellt hatte. Das war anscheinend ihre Art des Protests. Eadulf seufzte und suchte sich etwas zu essen.
Nach einem bescheidenen Mahl aus trockenem Brot, kaltem Fleisch und Met unternahm er seinen ersten Vorstoß. Vor dem Gebäude, das Fidelma ihm als Ort der Bibliothek Murgals gezeigt hatte, begegnete er zuerst der hübschen Apothekerin Marga. Nach dem, was ihm Fidelma über ihren Ausbruch berichtet hatte, als sie erfahren hatte, daß er sich in der Kräutermedizin auskannte, erwartete er, daß sie ihn nicht beachten würde, doch sie blieb vor ihm stehen.
»Ich kann nicht behaupten, daß es mir leid tut«, erklärte sie ohne Vorrede. Offenkundig hatte auch sie die Neuigkeit vernommen. »Weder für Solin, dieses Schwein, noch für deine christliche Freundin. Sie haben es verdient, miteinander in die Andere Welt zu fahren. Ich kann verstehen, daß jede Frau, die Solin begegnet ist, den Wunsch hat, ihm das Leben zu nehmen.«
Eadulf blieb standhaft.
»Das mag deine Meinung sein, Marga. Aber Fidelma hat Bruder Solin nicht getötet.«
Die Augen der jungen Frau verrieten ihren Unglauben.
»So? Und das willst du beweisen?«
»Das werde ich beweisen«, verbesserte er sie. »Ich werde die Wahrheit herausbekommen.«
Marga verzog höhnisch das Gesicht.
»Ach ja. Da du gerade von Wahrheit redest – ich habe dir die Fingerhutblätter geschenkt, weil ich dachte, ich helfe jemandem, der keine Ahnung von Medizin hat. Da du michbelogen hast, schuldest du mir jetzt etwas dafür. Du siehst, ich lege Wert auf Wahrheit, Angelsachse. Ich denke, unser Brehon wird auch wissen wollen, welchen Wert du der Wahrheit beimißt.«
Eadulf errötete. Er holte einen
screpall
aus seiner Börse und hielt ihn ihr hin.
»Nimm ihn und laß es dir damit gut gehen«, sagte er kurz.
Marga nahm die Münze, prüfte sie und ließ sie dann mit Bedacht fallen. Sie lächelte verächtlich. Anscheinend erwartete sie, daß sich Eadulf hastig danach bücken würde. Eadulf starrte ihr einen Moment in die kalten Augen und ging dann in das Gebäude.
Er hatte keine leichte Aufgabe vor sich, denn offenbar hatten die Leute im
rath
Laisres alle schon vor der Verhandlung entschieden, daß Fidelma schuldig wäre.
Er machte sich auf den Weg nach oben in den Turm, wo nach Fidelmas Auskunft Murgals Wohnung und Bibliothek lagen. Doch dort gab es mehrere Türen. Er zögerte und überlegte, was er tun sollte.
»Ach, der Angelsachse! Was machst du denn hier?«
Eadulf schaute in das kokette Gesicht von Esnad, der Tochter
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