Tod im Tal der Heiden
Neun Tage in einer Zelle eingesperrt, mit einer Mordanklage drohend über ihrem Haupt, und außerstande, irgend jemanden zu befragen oder Beweismittel für ihre Verteidigung zu sammeln, das war eine schreckliche Aussicht.
Rudgal geleitete sie schweigend über den gepflasterten Hof. Die Leute, die sich in Grüppchen versammelt hatten, flüsterten nicht mehr, sondern diskutierten laut. Zorn war zu spüren. Fidelma schaute sich vergeblich nach Eadulf um. Rudgal brachte sie zu einem Gebäude an der gegenüberliegenden Seite des
rath,
hinter den Ställen. Es war ein niedriges, einstöckiges Bauwerk aus grauem Granit. Sein einziger Eingang war eine große Holztür. Rudgal öffnete sie, und Fidelma schlugen aus dem Innern laute, heftige Stimmen, vermischt mit rauhem Gelächter, entgegen. Rudgal schien zu ahnen, was ihr durch den Kopf ging.
»Dies ist das Quartier für diejenigen von uns, die freiwillig die Leibwache des Fürsten bilden, Schwester Fidelma. Wenn wir uns im
rath
aufhalten, dient es uns als Schlafraum, und es ist das einzige Gebäude, in dem wir jemanden einsperren können, der gegen die Gesetze verstoßen hat. Es gibt eine einzelne Zelle in der hinteren Ecke des Gebäudes. Sie wird die Einzelhaftkammer genannt. Achte nicht auf den Lärm. Ich fürchte, ein paar von den Männern sind noch etwas betrunken von dem Fest gestern abend.«
Rudgal benahm sich ihr gegenüber sehr förmlich. Das gefiel ihr. Sie war froh, daß ihm die unangenehme Aufgabe zugefallen war, sie ins Gefängnis zu bringen, und nicht Artgal.
Fidelma ging voran in das Gebäude. Er folgte ihr und schloß die Tür, dann führte er sie einen kurzen Gang entlang, an dem Raum vorbei, in dem die Wache immer noch lärmend feierte, und danach im rechten Winkel davon abzweigend zu einer Tür mit einem schweren eisernen Schlüssel im Schloß.
»Es ist eine armselige Unterkunft, fürchte ich, Schwester Fidelma«, sagte Rudgal und öffnete.
»Ich werde mich schon einrichten«, antwortete Fidelma mit mattem Lächeln.
Rudgal schaute verlegen drein.
»Du brauchst mich nur zu rufen, und ich tue alles für dich, was in meiner Macht steht, solange du nicht verlangst, daß ich meinen Treueid gegenüber meinem Fürsten breche.«
Fidelma sah ihn ernst an.
»Ich verspreche dir, daß ich nicht von dir verlangen werde, deinen Eid zu brechen – es sei denn, es geht um einen höheren Eid.«
Der Krieger und Wagenbauer runzelte fragend die Stirn.
»Ein höherer Eid? Meinst du die Pflicht gegenüber dem Glauben?«
»Nein, nicht einmal die. Dein Fürst hat Cashel einen Eid geschworen. Cashel geht vor allen anderen Dingen. Wenn dein Fürst seinen Eid gegenüber Cashel bricht, dann bist du von deinem Eid ihm gegenüber entbunden, denn dann befindet er sich in Rebellion gegen seinen rechtmäßigen König. Verstehst du das?«
»Ich denke schon. Ich werde für dich tun, was ich kann, Schwester Fidelma.«
»Ich werde deine Dienste zu schätzen wissen, Rudgal.«
Angewidert untersuchte sie ihre Zelle. Sie war kalt und feucht und enthielt kaum mehr als einen Strohsack auf dem Fußboden. Sie roch übel und war offensichtlich eine Weile nicht benutzt worden. Es gab nur einen winzigen Fensterschlitz hoch oben an einer Wand. Rudgal fand eine Öllampe und entzündete sie. Er schaute sich um und fühlte sich ebenfalls abgestoßen.
»Mehr kann ich nicht für dich tun, Schwester«, entschuldigte er sich noch einmal.
Fidelma mußte bei seiner traurigen Miene beinahe lächeln. »Du bist nicht dafür verantwortlich, daß ich mich hier befinde, Rudgal. Das Unglück hat mich hergebracht, und nun muß ich meinen Verstand anstrengen, daß ich wieder herauskomme.«
»Brauchst du etwas, Schwester?« fragte er nochmals.
Fidelma überlegte rasch.
»Ja. Ich benötige ein paar persönliche Dinge aus dem Gästehaus, zum Beispiel mein
marsupium
. Würdest du bitte dorthin gehen und Bruder Eadulf, der wahrscheinlich noch schläft, darum bitten, daß er es mir gleich bringt.«
»Den Angelsachsen herholen …?« Rudgal schien zu zögern.
»Sei unbesorgt, Rudgal. Bruder Eadulf muß als mein
dálaigh
fungieren, da ich mich nun nicht mehr frei bewegen kann. Ich habe das Recht, ihn als meinen Vertreter zu benennen, und als mein
dálaigh
kann er mich ungehindert besuchen.«
»Sehr wohl, Schwester, ich bringe den Angelsachsen her.«Er ging und schloß die mächtige Holztür hinter sich. Fidelma hörte, wie sich der Schlüssel in dem großen eisernen Schloß drehte, und verspürte eine
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