Tod im Tower: John Mackenzies erster Fall (German Edition)
Ferris war dann eine Weile etwas verschnupft. Aber das ist zwanzig Jahre her und außerdem bringt man doch wegen so einer Sache niemanden um.“ Als er am Ende von Johns Aufzeichnungen angelangt war, schüttelte George ratlos den Kopf.
„Wie war es vor deiner Zeit im Tower? Gab es vielleicht während deiner Militärzeit einmal irgendeinen Vorfall, den dir jemand übelnahm?“, bohrte John unbeirrt weiter.
„Da war einmal etwas…“, begann George zögernd.
„Ja?“
„Es war in den letzten Wochen meiner Dienstzeit. Ich war als Nachschuboffizier meiner Einheit, der Seaforth Highlanders, in unserem Hauptquartier in Fort George stationiert.“
John nickte. Er hatte die Kaserne, die in einem Teil der gigantischen Festung aus dem achtzehnten Jahrhundert in der Nähe von Inverness untergebracht war, vor langer Zeit mit seinen Eltern besichtigt.
„Da war dieser junge Sergeant, Gerry Burrows. Er war für die Medikamentenlieferungen an die Einheiten im Ausland zuständig. Er hatte einen raschen Aufstieg gemacht, war sehr engagiert und ehrgeizig. Eines Tages kam ich durch einen Zufall darauf, dass er einen Teil der Medikamente, besonders Psychopharmaka, beiseiteschaffte und einen schwungvollen Handel damit betrieb. Es waren nie große Mengen und er hatte es so clever aufgezogen, dass über ein, zwei Jahre hinweg niemandem etwas aufgefallen war. Als ich ihn damit konfrontierte, versuchte er mit allen Mitteln, mich dazu zu bewegen, von einer Anzeige abzusehen. Er bot an, mich am Geschäft zu beteiligen. Er jammerte mir in höchsten Tönen vor, dass eine Verurteilung wegen Unterschlagung zu seiner unehrenhaften Entlassung führen würde und seine Eltern am Boden zerstört wären. Er drohte, mir zusammen mit einigen Kameraden das Leben im Fort zur Hölle zu machen. Schließlich hatte er eine ganze Reihe Abnehmer für seine Mittelchen in unserer Kaserne, die durch mein Handeln ihre Nachschubquelle verloren. Na, wie dem auch sei, ich habe einen Bericht erstellt und an die Führung weitergeleitet. Kurz nach der Verhandlung bin ich aus dem aktiven Dienst ausgeschieden und seither habe ich nie wieder von Gerry Burrows gehört.“
„Hmm. Wie alt müsste der Mann jetzt sein?“
George überlegte. „Ein paar Jahre älter als du, schätze ich, so Mitte bis Ende Vierzig.“
„Könnte er eine Verbindung zu einem unserer Männer haben?“
„Ich habe keine Ahnung, John. Auf jeden Fall hat mir gegenüber nie jemand erwähnt, dass er ihn kennen würde.“
„Wir bitten Chief Mullins um Hilfe. Mit Sicherheit kennt er jemanden, der ihm Einsicht in die Militärarchive geben kann.“
Mit neu erwachter Energie machte John sich auf den Rückweg in den Tower.
„Ich klemme mich sofort ans Telefon“, versprach Mullins, nachdem John ihm von seiner Theorie und dem Gespräch mit George erzählt hatte. „Ach, und dann habe ich noch eine kleine Aufgabe für Sie, Mackenzie: Sie wissen doch, dass morgen der große Weihnachtsbasar unserer Handarbeitsgruppe abgehalten wird. George sollte als unser Ravenmaster auch ein paar Worte sagen. Da Sie ja momentan unser Rabenpfleger sind, übernehmen Sie das. Am besten sprechen Sie mit Edwina Dunders darüber. Morgen früh um zehn Uhr geht es los.“
Wenig begeistert begab John sich in den Innenhof hinaus, wo eifrig an einer Reihe von Verkaufsbuden gezimmert wurde. Edwina war gerade dabei, einen bereits fertigen Stand mit Lichterketten zu schmücken. „Ah, John, Sie kommen gerade recht. Könnten Sie mir wohl behilflich sein? Ich reiche nicht so hoch hinauf.“
„Natürlich helfe ich Ihnen. Mein Dienst beginnt heute erst mittags, also habe ich noch ein wenig Zeit.“ Er nahm der molligen Frau eine der Lichterketten ab und begann, sie zu befestigen.
„Mullins hat mich beauftragt, in Vertretung für George morgen bei der Eröffnung des Basars einige Grußworte zu sagen.“
Edwina strahlte. „Das ist schön. Erzählen Sie einfach ein paar Minuten über unsere Raben, das hören die Leute immer gern. Vielleicht ein, zwei lustige Geschichten, da fällt Ihnen bestimmt etwas ein.“ Im Stillen überlegte John, ob eine anschauliche Schilderung seines blutigen Fütterungsunfalls zur vorweihnachtlichen Stimmung beitragen würde.
Nur noch ein Pflaster erinnerte an Brans Attacke. Während der letzten Tage war schon so etwas wie Routine in die täglichen Arbeiten für die Raben eingekehrt und auch die Tiere schienen sich an ihn gewöhnt zu haben.
„Ich glaube, wir werden dieses Jahr einen besonders
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